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Anforderungen an Explosionshemmende Verglasungen

Glas contra Sprengstoff

Was müssen Fassadengläser aushalten, um gegen Bombenanschläge zu bestehen? Anders als bei durchschuss- und einbruchhemmenden Gläsern, bei denen in der Praxis die Klassifikationen aus den Normen als Anforderungen in den Projekten direkt übernommen werden, werden an explosionshemmende Verglasungen oft projektspezifische Anforderungen gestellt.

Bei einer Explosion entsteht eine Stoßwelle, die sich räumlich und zeitlich von dem Detonationsursprung ausbreitet. Der zeitliche Verlauf der Stoßwelle an einem bestimmten Punkt kann idealisiert durch die sogenannte Friedlander-Kurve beschrieben werden (Bild 1)[1].

Zur Charakterisierung von Stoßwellen wird in den aktuellen Regelwerken der Spitzenüberdruck Pmax und der positive Impuls (Fläche der positiven Druckphase) verwendet. Die negative Druckphase, die für eine gebrochene Verglasung durchaus eine Relevanz haben kann, wird dort vernachlässigt. Durch numerische oder empirische Ansätze können ausgehend von einer definierten Masse Sprengstoff (TNT) in einer gegebenen Entfernung vom zu schützenden Objekt diese Parameter bestimmt werden.

Ziel einer explosionshemmenden Verglasung ist es, den Durchgang der Stoßwelle und den Abgang von Glassplittern in den zu schützenden Raum zu verhindern. Ein Bruch des Glases ist jedoch zulässig und sogar erwünscht, da durch die Deformation die einwirkende Energie teilweise vernichtet wird und somit die Unterkonstruktion eine reduzierte Beanspruchung erhält.

Der Einsatz von Verbund-Sicherheitsglas stellt ­eine Mindestanforderung an die technische ­Umsetzung dar. So lässt sich beispielsweise durch ein einfaches VSG aus 2 x 6 mm Floatglas mit ­einer 0,76 mm PVB-Schicht schon eine ­niedrige Klassifikation nach den Normen ­erreichen.

Für höhere Beanspruchungen können verschiedene Ansätze verfolgt werden. Zum einen bewirkt ein mehrfach geschichteter Glasaufbau mit mehreren Zwischenfolien ein günstigeres Nachbruchverhalten und mehr Energie­vernichtung (Dissipation). Mindestens genauso wichtig ist aber die Betrachtung der Rahmen- und Unterkonstruktion, da eine Energiedissipation auch dort erfolgen kann. Die Betrachtung des ­gesamten Fassadensystems ist hier zweckmäßig. Seilnetzfassaden eignen sich beispielsweise durch die großen möglichen Systemdeformationen gut, um die kurzzeitige Stoßwelleneinwirkung zu dämpfen[14]. Diese Ansätze werden unter dem Begriff „Balanced Design“ zusammengefasst.

Neben den Glassplittern, die auch beim Bruch des Glases an der VSG-Zwischenfolie haften müssen, muss bei der Konstruktion darauf geachtet werden, dass nicht die Verglasung als Ganzes aus der Halterung gedrückt und zu einer Gefährdung wird. Eine wirksame Maßnahme ist hier das Verkleben des Glases in den Rahmen bzw. an die Klemmhalter.

Aktuelle Anforderungen

Wie erwähnt werden an explosionshemmende Verglasungen meist projektspezifische Anforderungen gestellt und von Fachplanern entsprechende Bedrohungsszenarien erarbeitet. Daraus resultieren Beanspruchungen an das Gebäude sowie für die Verglasungen. Eingangsparameter hierfür sind die Masse an TNT und die anzusetzende Entfernung, Perimeter genannt.

Die Anforderungen sind in den vergangenen Jahren gestiegen – üblich sind heute 100 bis ­500 kg TNT, die in der projektabhängigen Entfernung angeordnet werden. Da die Entfernung sich mit der dritten Potenz auf den Spitzenüberdruck auswirkt, ist eine Vergrößerung des Perimeters sicherlich die wirksamste Maßnahme, jedoch nicht immer möglich wie z.B. in Innenstädten.

Für 500 kg TNT in einer Entfernung von 20 m ergibt sich z.B. ein Spitzenüberdruck von etwa 530 kPa und ein Impuls von 2200 kPams, was weit über die Klassifikationen der DIN EN 13541 hinaus geht. Da zudem die Geometrie der eingesetzten Gläser von den Prüfkörpern der Norm abweicht und eine numerische Simulation noch Stand der Forschung ist[13, 15], müssen letztendlich für eine abgesicherte Aussage oft kostenintensive experimentelle Untersuchungen an den tatsächlich eingesetzten Fassadenelementen mit Unterkonstruktion durchgeführt werden.

Regelwerke und Prüfverfahren

Das europäische Regelwerk unterscheidet im Bereich Explosionshemmung – wie auch für Durchschuss- und Einbruchhemmung – zwischen der reinen Verglasung als Bauprodukt (DIN EN 13541[2]) und dem Fenster, bei welchem das Glas mit der zugehörigen Rahmenkonstruktion als Bauart kombiniert betrachtet wird (DIN EN 13123[3, 4], DIN EN 13124[5, 6]).

Eine andere Unterscheidung betrifft das Prüfverfahren. Bei einem Freilandversuch werden tatsächliche Sprengladungen in definierten Abständen gezündet. Diese Prüfung bildet das Szenario der Kofferbombe ab. Das zweite Prüfverfahren erzeugt in einem Stoßrohr oder einer vergleichbaren Einrichtung eine ebene Stoßwelle, die eine große Explosion in größerer Entfernung abbildet[7]. DIN EN 13541[2] sieht nur eine Prüfung im Stoßrohr vor. Die Verglasung wird dazu in einen definierten Prüfrahmen mit einer Randeinspannung (50 mm Randbreite) eingesetzt und der Stoßwelle ausgesetzt.

Die Prüfung gilt als bestanden, wenn keine Löcher oder Öffnungen entstanden sind. Die Angabe, ob sich dabei Splitter gelöst haben, ist nicht zwingend erforderlich. Der Begriff „Splitterabgang“ wird mit der Überarbeitung der Norm von 2012 erstmals genau definiert. Bricht die stoßabgewandte Scheibe im Versuch, wird dies als Splitterabgang gewertet. Bild 2 zeigt ein Verbund-Sicherheitsglas nach einem Stoßrohrversuch.

Neben den EU-Normen existieren internationale Standards, die Prüfverfahren und Klassifizierung von explosionshemmenden Verglasungen behandeln. Hier wird ebenfalls zwischen einem Freilandversuch (ISO 16933[9]) und einer Prüfung im Stoßrohr (ISO 16934[10]) unterschieden.

Ein wichtiger Unterschied zur europäischen Norm ist, dass die Prüfung in einem Testcontainer mit einer Splitter-Detektionswand („witness panel“) erfolgt, der eine Bewertung der Gefährdung ermöglicht (Bild 3). Der Begriff „Splitter“ ist messbar definiert und die Angabe, wo Splitter örtlich aufgetreten sind, muss in der Klassifikation mit angegeben werden.

Diese Testprozedur lehnt sich an die amerikanischen Standards (ASTM F 1642-04[11], GSA[12]) an, die sich weltweit als Standard durchgesetzt haben. Das europäische Regelwerk geht derzeit nicht auf eine Bewertung der Gefährdung ein – auch nicht die neue Überarbeitung DIN EN 13541 von 2012.

Darüber hinaus ist die Bewertung der Explosionshemmung von objektbezogenen Fenstern und Fassaden häufig schwierig, da die Prüfung der Verglasung immer nur eingespannt und mit den genormten Maßen 1100 x 900 mm erfolgt.

Ausblick

Die steigende Nachfrage nach explosionshemmenden Fassaden bewirkt einen Anstieg in den Anforderungen an die Gläser. Dieser Trend wird sich wohl weiter fortsetzen.

Für eine tatsächliche Beurteilung der Schutzfunktion von den eingesetzten Verglasungen ist die Klassifikation durch die Normen nur bedingt sinnvoll. Um langfristig die projektspezifischen kostenintensiven experimentellen Prüfungen zu minimieren, ist es zielführend, mittels numerischer Simulation das Tragverhalten abschätzen zu können. Hierfür fehlt es derzeit jedoch noch an geeigneten Materialmodellen für die Zwischenfolien bzw. für die realitätsnahe Abbildung des Nachbruchverhaltens von Verbundsicherheitsgläsern. —

Fußnoten: Interessierte finden die Quellenangaben zu den Fußnoten auf https://www.glaswelt.de/, dort im Suchfeld rechts oben den Webcode 1136 eingeben.

Jens Schneider, Johannes Kuntsche

Die Autoren

Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider leitet das Institut ­ für Werkstoffe und Mechanik im Bauwesen der TU Darmstadt. Johannes Kuntsche ist dort ­wissenschaftlicher Mitarbeiter.kuntsche@iwmb.tu-darmstadt.de

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