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Bedienkräfte versus U-Wert

Zu schwer zum Öffnen?

Die nächste EnEV-Ausgabe setzt für den Neubau klare Zeichen: Dort wird vermutlich ein U-Wert für Fenster von 0,95 W/m²K als Referenzwert eingeführt. Dies bedeutet, dass 3-fach-Isolierglas standardmäßig zum Einsatz kommen wird. Bereits jetzt ist bei der Isolierglasproduktion in Deutschland in einigen Marktsegmenten ein Marktanteil von 3-fach-ISO über 50 Prozent zu beobachten. Die Flügelgewichte steigen dadurch deutlich an. Dies geht einher mit zunehmenden Flügelprofildicken. Parallel fordert die moderne Architektur immer großflächigere transparente Bauteile im Gebäude. Auch hierdurch steigen die Flügelgewichte, die nicht selten jenseits von 100 kg pro Flügel liegen.

Mit den immer höheren Flügelgewichten gehen auch die Anforderungen an die Beschläge und deren Befestigung nach oben. Dies muss bereits bei der Planung der Elementmontage sowie bei der Herstellung berücksichtigt werden. Der Nutzer des Bauteils Fenster erwartet trotzdem eine leichte Bedienung. Dies ist unter den zuvor beschriebenen Randbedingungen nicht immer leicht zu bewerkstelligen.

Das ift Rosenheim stellte bei Prüfungen in den vergangenen Jahren immer häufiger Bedienkräfte jenseits der Klasse 1 (100 N oder 10 Nm) nach EN 13115 [2] fest. Dies wird in erster Linie durch die ungünstigen Hebelverhältnisse bei sehr hohen Fenstertüren und die Lage der Verglasung im Flügel beeinflusst.

Da der Griffsitz bei Fenstertüren relativ konstant in einer für den Menschen ergonomisch angenehmen Höhe von ca. 1050mm liegt, wird der Anteil der Flügelmasse oberhalb des Griffs immer größer, je höher der Flügel wird. Dies bewirkt, zusammen mit den immer schwereren Flügeln, zwangsläufig sehr hohe Bedienkräfte.

Wenn man Erkenntnisse aus der Arbeitsmedizin [1] und dem Bereich des behindertengerechten Bauens zugrunde legt, sind die vom Menschen aufbringbaren Bedienkräfte allerdings stark limitiert. Ist ein junger Mann noch in der Lage, einen Flügel mit Kräften von bis zu 100 N zu öffnen und zu schließen, so reduzieren sich diese bei älteren und gebrechlichen Personen bereits deutlich. Wenn man dann noch Kinder oder behinderte Menschen in die Betrachtung mit einbezieht, wird schnell klar, dass Bedienkräfte über Klasse 1 nach EN 13115 [2] im Normalfall nicht akzeptabel sind, wenn eine problemlose Bedienbarkeit gefordert ist. In behindertengerechten Gebäuden bestehen sogar noch deutlich höhere Anforderungen an die leichte Bedienbarkeit.

Dies hat die Gütegemeinschaft Fenster und Haustüren e.V. bereits vor Jahrzehnten berücksichtigt und die Bedienkräfte für gütegesicherte Produkte gemäß RAL-GZ 695 [3] entsprechend limitiert. In der Vergangenheit stellte dies für die Hersteller in der Regel auch keine unüberwindliche Hürde dar, da relativ kleine Flügel mit Zweifach-Isolierglas zur Ausführung kamen. Auch das ift trägt diesem Umstand seit Mai 2010 Rechnung und weist die Kräfte für das Einleiten der Öffnungs- und Schließbewegungen von Flügeln sowohl in Dreh- als auch in Kipprichtung in seinen Prüfberichten gesondert aus.

Handlungsoptionen für Hersteller

Das Einleiten der Drehbewegung stellt selbst bei sehr schweren Flügeln normalerweise keine Hürde dar. Überschreitungen der Bedienkräfte entsprechend Klasse 1 nach EN 13115 [2] werden vorwiegend beim Bewegen von Fenstertüren aus der Ruhelage in die Kippposition und noch öfter beim Schließen aus der Kippposition in die geschlossene Lage gemessen.

Um die Bedienkräfte auch zukünftig in zumutbaren Grenzen zu halten, sind die Konstrukteure von Fenstern und Beschlägen gefordert, die Lage der Verglasung innerhalb der Konstruktion genau auszutarieren, um das Versatzmoment zum Drehpunkt (also ungünstige Hebelverhältnisse) so gering wie möglich zu halten. Auf der Beschlagseite besteht die Möglichkeit, die Öffnungsweiten beim Kippen von sehr hohen Flügeln zu begrenzen, um das Schließen der Flügel zu erleichtern.

Auch der Einbau von gewichtsreduzierten Verglasungen (beispielsweise dünnere Gläser, Folie als Ersatz für die mittlere Scheibe bei 3-fach-Verglasung) kann dabei zur Verringerung des Problems beitragen. Generell muss allen Beteiligten bewusst sein, dass hohen schweren Flügeln eine besondere Beachtung in der Planung und Ausführung geschenkt werden muss.

Literatur:

[1] Adler, M.; Herrmann, H.-J.; Koldehoff, M.; Meuser, V.; Scheuer, S.; Müller-Arnecke, H.; Windel, A.; Bleyer, T.:

Ergonomiekompendium. Anwendung ergonomischer Regeln und Prüfung der Gebrauchstauglichkeit von Produkten.

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund

[2] DIN EN 13115:2001-11 Fenster – Klassifizierung der mechanischen Eigenschaften – Vertikallast, Verwindung und Bedienkräfte. Beuth Verlag GmbH

[3] RAL-GZ 695 Fenster, Haustüren, Fassaden und Wintergärten – Fertigung und Montage. RAL Deutsches Institut für Gütescherung und Kennzeichnung e. V. Beuth Verlag GmbH

Der Autor

Jörn P. Lass ist seit 2000 Mitarbeiter am ift ­Rosenheim in der Funktion als Geschäftsbereichsleiter Bauteile und Prüfstellenleiter für Fenster, Haustüren und Fassaden. Seit 2009 ist er Lehrbeauftragter an der FH Rosenheim im Masterstudiengang Fenster und Fassaden und Mitarbeiter in verschiedenen ­Normenausschüssen.

https://www.ift-rosenheim.de

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