GW – Wohin entwickelt sich der Fassadenmarkt?
Olaf Müller – Der Fassadenmarkt in Deutschland und Europa befindet sich in einer Phase tiefgreifender Transformation: Regulatorische Vorgaben zur Energieeffizienz und Nachhaltigkeit, technologische Innovationen und gesellschaftlicher Druck hin zu klimafreundlichem Bauen treiben die Entwicklung voran. Gleichzeitig wächst der Markt der Sanierung robust, da die Fassaden-Revitalisierung im Bestand klare Vorteile in puncto Ressourcenschonung und CO₂-Reduktion bietet und Investoren sowie Nutzer zunehmend auf zukunftsfähige Standards setzen.
Besondere Chancen entstehen durch Konzepte der Kreislaufwirtschaft, die konsequente Digitalisierung von Planungs- und Fertigungsprozessen sowie modulare und elementierte Fassaden, die Bauzeiten verkürzen und Qualität sichern.
GW – Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft in Ihrer Produktentwicklung?
Müller – Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sind zentrale Leitprinzipien der Wicona Produktentwicklung. Wir betrachten das Endprodukt sowie den gesamten Lebenszyklus: Schon bei der Produktion achten wir auf CO₂-optimierte Prozesse. Und mit unserem Konzept „75/95“ gehen wir den nächsten Schritt: Die Verwendung von mindestens 75 % recyceltem Material kombiniert mit 95 % Recycelbarkeit ermöglicht es, die CO₂-Bilanz neuer Produkte erheblich zu minimieren. So schaffen wir hochwertige Fassaden-, Fenster- und Türsysteme, die zudem echte Kreislaufwirtschaft ermöglichen und so einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung der Baubranche leisten.
GW – Was zeichnet Hydro Circal 75R und Hydro Circal 100 aus?
Müller – Der hohe Anteil an End-of-Life-Material. Mit Hydro Circal 75R bieten wir standardmäßig, ab Lager, eine Legierung mit mindestens 75 % End-of-Life-Aluminium. Zudem gibt es mit Hydro Circal 100R eine Alu-Legierung aus 100 % recyceltem End-of-Life-Aluminium. Diese hat mit weniger als 0,5 kg CO2 pro kg Aluminium im weltweiten Vergleich den geringsten CO2-Fußabdruck.
GW – Welche konkreten Systeme bietet Wicona für die Revitalisierung an?
Müller – Bauen im Bestand ist individuell und damit gibt es in jedem Revitalisierungsprojekt spezifische Anforderungen. Das schließt eine Einheitslösung aus. Was wir aber auf jeden Fall schaffen können, ist ein modulares Prinzip: ein „Sanierungsbaukasten“, der sich flexibel an unterschiedliche Projekte anpassen lässt. Auf dieser Basis entwickeln wir derzeit weiter, immer mit dem Ziel, die Sanierung von Fenstern und Fassaden noch wirtschaftlicher und nachhaltiger zu machen.
GW – Ein Vorzeigeprojekt für diese Denkweise ist das Omega Haus in Offenbach, wurde dort nicht ein speziell entwickeltes Fenster eingebaut?
Müller – Richtig, der Bauherr hatte dort eine wirtschaftlich tragfähige Sanierung gefordert, mit möglichst wenig Eingriff in die bestehende Gebäudestruktur und hohen Anforderungen an die Energieeffizienz. Vor diesem Hintergrund haben wir mit unserem Fassadenbau-Partner Heidenbauer Aluminium ein spezielles Sanierungsfenster entwickelt. Die wirtschaftliche Projektlösung ermöglicht mit einem selektiven Eingriff eine umfassende energetische und konstruktive Optimierung der Fassade, als Alternative zu einem kostenintensiven vollständigen Fassadenaustausch.
GW – Welche Herausforderungen bringt solch eine selektive Erneuerung mit sich?
Müller – Um eine solche Lösung, wie bei dem Omega Haus, auch wirtschaftlich umsetzen zu können, ist eine gründliche Vorarbeit notwendig, diese beginnt mit der Analyse vor Ort. Entscheidend ist der Zustand der vorhandenen Fenster- bzw. Fassadenkonstruktion: Ist der Blendrahmen noch tragfähig? Sind die Bauanschlüsse dicht? Wie sind die energetischen Anforderungen. Auf Basis dieser Parameter, und in diesem Fall gemeinsam mit dem Fassadenbauer, entwickelt der Wicona Projekt Service eine projektspezifische Lösung. Wichtig ist: Wir versuchen immer, den Eingriff in den Bestand möglichst gering zu halten. Denn d. h. weniger CO₂-Emissionen, deutlich geringere Kosten und kürzere Bauzeiten sowie weniger CO₂-Emissionen, vor allem im Vergleich zu einem vollständigen Rückbau/Neubau der Fassade. Genau darin liegt der Vorteil einer selektiven Sanierungslösung.
GW – Was passiert mit den ausgebauten Materialien wie Glas, Aluminium und Dichtungen?
Müller – Die End-of-Life-Materialien der ausgebauten Bestandsfenster – also Aluminium, Glas und EPDM-Dichtungen – wurden beim Projekt Omega Haus systematisch getrennt und von den Projektpartnern Wicona, Saint-Gobain Glass und Semperit in die jeweiligen Wertstoffkreisläufe zurückgeführt. Die neuen Fensterflügel wurden aus unserer nachhaltigen Aluminiumlegierung Hydro Circal 75R hergestellt. Damit konnten wir (www.wicona.de ) wertvolle Ressourcen einsparen und auch CO2-Emissionen deutlich senken.
GW – Wie sehen Sie die Fassade der Zukunft?
Müller – Die Fassade der Zukunft ist ein dynamisches, interaktives System, das Umwelt, Technik und Nutzerbedürfnisse intelligent verknüpft. Sie basiert auf zirkulären Materialkreisläufen, digitaler Intelligenz, modularer Bauweise und innovativen Materialien. Nur durch enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Beteiligter – von der frühzeitigen Planung bis zur Wartung und Rückführung am Lebensende – wird es möglich, Gebäudehüllen zu realisieren, die ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig sind.
Das Interview führte Matthias Rehberger