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Im Interview mit Jürgen Huber und Stefan Weinstock

„Die größte Herausforderung ist die Logistik zum Fachhändler oder zur Baustelle“

Glaswelt – Herr Weinstock, mit dem Thema Digitalisierung von Bauelementen haben Sie bereits 2018 begonnen. Was hat sich jetzt daraus entwickelt?

Stefan Weinstock – Wir haben zusammen mit der Deutschen Telekom 2017 einen NFC-Chip zur Identifizierung von Fenstern und Türen entwickelt, der vollautomatisiert in unserer Fertigung verbaut und mit den Daten verknüpft werden kann. Dieser dient zur Identifikation der Bauelemente im Servicefall und wird seit 2018 in jedem unserer Fenster verbaut. Mit der eigens entwickelten Ideal-NFC App können unsere Fachhandelspartner, deren Endkunden sowie unsere eigenen Servicemitarbeiter die exakten Produktdaten auslesen und damit gezielte Servicethemen anstoßen – ohne lästiges Suchen oder die Gefahr, Elemente zu verwechseln.

Dies war uns aber zu wenig und wir machten uns Gedanken über die weiteren Nutzungsmöglichkeiten der NFC-Chips. Als wichtigster Schritt haben wir die Entscheidung getroffen, dass die Lösung keine reine Ideal Weinstock-Lösung sein darf, sonst wären die Nutzungsmöglichkeiten für Fachhändler und Endkunden deutlich eingeschränkter. Aus diesem Grund wurde das StartUp Biss.ID gegründet, welches sich völlig eigenständig und losgelöst von Ideal mit dem Thema Digitalisierung von Bauprodukten und den damit verbundenen Prozessen unabhängig von Produkt, Material und Hersteller beschäftigt – also eine völlig offene Plattform für sämtliche Digitalisierungsprozesse im Bauelementebereich.

Glaswelt – Warum wären die Nutzungsmöglichkeiten bei einer reinen Ideal-Lösung eingeschränkter?

WeinstockUnser Kerngeschäft ist die Produktion von Fenster und Türen in PVC, PVC-Alu, Holz und Holz-Alu. Produkte, wie Aluminiumhaustüren, Rollladen und Sonnenschutz liefern uns leistungsfähige Partner zu. Wäre der NFC-Chip nur für uns und unseren Produktionsprozess, könnten wir unseren Kunden nur für selbstgefertigte Produkte den NFC-Chip anbieten und hätten somit keine Durchgängigkeit, was dann unseren Fachhändler wiederum beim Endkunden in Erklärungsnot bringt und auch für alle Beteiligten nicht den Gesamtnutzen hätte.

Wir möchten durchgängigen Mehrwert für Hersteller, Fachhändler, Monteure und den Endkunden über den gesamten Produktlebenszyklus schaffen. Und an keiner Baustelle werden nur Fenster und Türen geliefert, sondern auch Rollläden, Sonnenschutz, Garagentore und weitere Bauelemente. Wir als Produzent müssen so offen sein, dass Fachhändler ebenso von anderen Herstellern Elemente beziehen können.

Glaswelt – Wie weit sind Sie mit der Marktreife für die produktunabhängige Plattform?

WeinstockLeider hat uns Corona um fast zwei Jahre zurückgeworfen, da es ohne den direkten Dialog mit anderen Herstellern, Fachhändlern und Monteuren sowie Wohnungsbaugesellschaften nicht sinnvoll war, dieses Geschäftsmodell weiterzuentwickeln. Erst mit zunehmenden Lockerungen der Pandemie-Einschränkungen und der damit ansteigenden Offenheit für Besuche haben wir die Thematik im Sommer 2021 wieder aufgriffen. Zudem bot sich für uns die Möglichkeit, mit Jürgen Huber einen sehr erfahrenen Branchenfachmann für das Projekt zu gewinnen. Wie angesprochen, wollten wir die Unternehmung eigenständig aufstellen, mit einer Mischung aus branchenerfahrenen Mitarbeitern sowie IT-Fachleuten und offenem Blick für Digitalisierungsansätze in der Baubranche. Nach einer ersten Anlaufphase hatte Jürgen Huber die Unternehmungsleitung übernommen. Des Weiteren sind wir froh darüber, dass er sich auch aktiv als Gesellschafter am Unternehmen beteiligt hat.

Glaswelt – Herr Huber, Sie haben sich doch als Projektberater selbstständig gemacht. Hat sich das nun erledigt?

Jürgen Huber Ganz und gar nicht. Ich bin seit über zwei Jahren selbstständig und übernehme immer noch strategische Projekte für mittelständische Unternehmen. Genau über diese Tätigkeit bin ich auch zur Biss.ID gekommen. Das Projekt hat so viel Substanz und ist für mich so inter­essant, dass ich mich entschieden habe, es dauerhaft zu betreiben und habe auch neben der Geschäftsführertätigkeit in die Firma investiert. Meine StrategieManufaktur gibt es weiterhin und läuft ebenfalls sehr erfolgreich, sodass ich mit drei Mitarbeitern die Projekte für meine Kunden abwickle. Ich sehe in der Schnittmenge beider Firmen ein großes Potenzial, die Anforderungen von Projektkunden in digitale Prozesslösungen der Biss.ID zu überführen.

Glaswelt – Was sind Ihre weiteren Schritte mit der Biss.ID?

HuberNach vielen Vorgesprächen mit namhaften Herstellern, Fachhändlern, aber auch Baugenossenschaften, Fertig- und Massivhausherstellern sowie Montagefirmen, haben wir verschiedenste Anforderungen und damit verbundene Herausforderungen im Bereich der Digitalisierung am Bau definiert. Die fast zwei Jahre „Weiterentwicklungspause“ war für die Plattform Segen und Fluch zugleich. Die bisherige Biss.ID hatte viel in die Plattform und die App investiert, was dann aber fast schon wieder nicht mehr up to date war. Gleichzeitig hat sich die Plattform-Technologie im IoT (Anm. d. Red: Internet of things)-Umfeld als Baukastenlösung weiterentwickelt, sodass sich für uns die Herausforderung gestellt hatte, nochmals in eine fast komplett neue Technologie zu investieren, da diese viel flexibler und unabhängiger ist. Jetzt können wir in der „Aye-Ot-Box“, wie sie bei uns genannt wird, alle vorhandenen Technologien integrieren. Das bedeutet, wenn heute Firmen schon einen Bar- oder QR-Code bei ihren Produkten verwenden, können wir diesen in der Plattform ohne Zusatzaufwand übernehmen. Der Kunde kann dann weitere Dienstleistungsmodule von uns nutzen. Dies ist genauso mit NFC, RFID und Bluetooth möglich. Somit ist die Plattform offen für sämtliche Hersteller, völlig produktunabhängig.

Glaswelt – Welchen Vorteil hat das?

Huber – Es gibt ähnliche Lösungen am Markt, vorwiegend mit NFC- oder QR-Code. Oftmals sind diese aber verbunden mit definierten Produkten, da diese von Vorlieferanten kommen und damit nur eingeschränkt nutzbar sind. Wir bieten unseren Kunden die Nutzung völlig produktunabhängig für all ihre Produkte an. Seien es Fenster, Türen, Rollläden, Markisen usw. Das heißt: Wir bieten ein durchgängiges Konzept. Der weitere große Vorteil ist, dass wir auch offen genug sind, vorhandene Systeme bei uns über Schnittstellen zu übernehmen. Setzt also ein Kunde bereits eine eigene ID-Lösung oder die eines Vorlieferanten ein, können wir diese Daten nutzen, weiterverarbeiten und mit weiteren kombinieren.

Weinstock – Für uns als Produzent wäre es auch ein großer Vorteil, wenn unsere Zulieferer von Handelswaren bereits den Datensatz als ID mitliefern – dann können wir dies auch unseren Fachhandelspartnern und die wiederum ihren Kunden zur Verfügung stellen und wir haben eine Durchgängigkeit bei den Daten der Produkte. Die Daten sind ja da und das ist der Sinn des Themas Digitalisierung, wir brauchen Schnittstellen, um Daten auszutauschen.

Mit der Biss.ID können die aktuelle Gestellpositionen sichtbar gemacht werden. Dies kann automatisiert erfolgen oder aber auch in der einfacheren Variante durch das Buchen der Gestelle mittels Smartphone.

Foto: Biss.ID

Mit der Biss.ID können die aktuelle Gestellpositionen sichtbar gemacht werden. Dies kann automatisiert erfolgen oder aber auch in der einfacheren Variante durch das Buchen der Gestelle mittels Smartphone.

Glaswelt – Wir haben viel über die Thematik NFC-Chips bei Bauelementen gesprochen, aber aktuell sorgen Sie doch eher für Wirbel mit dem Thema Gestelltracking von Transportgestellen. Ist das eine weitere Plattform?

Huber Nein, ganz und gar nicht. Ich habe viele Gespräche mit Herstellern geführt zum Thema Digitalisierung. Die größte Herausforderung dabei ist die Logistik zum Fachhändler oder zur Baustelle. Wir können in unserem Baukastensystem auch geografische Positionen einfach abbilden – also war die Gestellverwaltung eine logische Weiterentwicklung. Wir können die aktuelle Position von Gestellen in unserem Modul Biss.ID Tracking sichtbar machen. Dies kann automatisiert erfolgen – indem wir Asset-Tracker nutzen, die ihre Position ins System via GPS-Daten übermitteln – oder aber auch in der einfacheren Variante durch das Buchen der Gestelle mittels Smartphone, welches dann die aktuelle Position beim Buchen ins System überträgt.

Durch die Zuordnung bei der Buchung zum Kunden weiß jeder sofort, wem das Gestell übergeben wurde. Dies können wir sogar automatisiert abbilden. Genauso kann der Tracker sich selbst melden, wenn er wieder im Werk ist. Darüber hinaus können wir auch übernommene Fremdgestelle von Vorlieferanten mit einlesen und verwalten. Somit haben auch Nutzer jederzeit einen Überblick über auf ihn gebuchte Gestelle.

Weinstock – Gerade in der aktuellen Situation mit vollen Auftragsbüchern sind viele Gestelle gebunden mit ausgeliefertem Material. Die Kosten für neue Gestelle sind auf einem historischen Hoch gepaart mit langen Lieferzeiten. Es können hier also kaum weitere Kapazitäten geschaffen werden. Umso wichtiger ist es, schnell die freien Gestelle wiederzubekommen und keine zu verlieren. Wir machen die Abwicklung bereits seit Jahren mit Gestellpool, was aber immer nur so gut war, wie die wirklichen Buchungen. Die Live-Verfolgung der Gestelle und die saubere Zuordnung zu den Kunden macht die Sache nun rund. Vor allem können wir dem Kunden auch auf der Karte zeigen, wo er denn unser Gestell vergessen hat. Und um auf den NFC-Chip und damit auf das Einzelelement zurückzukommen, können wir auch sehen, wo welche Ware ist, da die Produkte mit dem Gestell bei der Auslieferung verheiratet werden. So kann der Hersteller, der Händler oder auch der Monteur über die App sehen, auf welchem Gestell seine gerade benötigte Ware ist und wo das Gestell steht.

Wir möchten durch­gängigen ­Mehrwert für Hersteller, Fach­händler, Monteure und den Endkunden über den ­gesamten Produktlebenszyklus schaffen.

Stefan Weinstock, Geschäftsführer Ideal-Fensterbau Weinstock

Foto: Biss.ID

Glaswelt – Rechnet sich so eine Investition?

Huber – Die Herausforderung ist, dass die Akkulaufzeit des Trackers die Amortisierungszeit bestimmt und dies war früher oft nicht darstellbar. Die neue Generation an Trackern agiert aber mit einer Akku-Laufzeit von mindestens 8 Jahren, wenn wir ein Signal am Tag senden. Mit der Möglichkeit, dass wir die Tracker aber auch so konfigurieren können, dass sie sich nur melden, wenn sie ihre Position ändern, sind noch längere Laufzeiten möglich. Durch weitere Funktionen im Tracker entstehen weitere Möglichkeiten. Jedenfalls braucht niemand mehr Mitarbeiter abzustellen für das Suchen von Gestellen, sei es auf Baustellen oder bei Kunden. Auch können im System Benachrichtigungen hinterlegt werden – Kunden können so auf zu lange Haltezeiten von Paletten hingewiesen werden. Nicht zuletzt bieten wir mit dem Tracker die Möglichkeit, eine detaillierte Ortung im Werk zu nutzen: Mit Bluetooth und installierten Hubs kann das Gestell sehr genau geortet werden. Firmen können so ihre Suchzeiten nochmals minimieren.

Weinstock – Für uns ist es auch wichtig, dass der Tracker sich sofort meldet, wenn er demontiert wird. Und sollte der Tracker gewisse räumliche Bereiche verlassen – beispielsweise unsere Liefergebiete – oder sollte das Gestell umfallen oder vielleicht sogar aus dem 2. Stock geworfen werden, auch dann erhalten wir eine Meldung.

Glaswelt – Wie weit ist diese Lösung bereits im Markt?

Huber – Wir haben auf der FENSTERBAU im Juli letzten Jahres das erste Plattform-Konzept mit Trackern für unsere Lösung vorgestellt. Auf der glasstec in Düsseldorf haben wir dann die Plattform und die App sowie die ersten Pilotkunden präsentieren können. Die Resonanz war mehr als erstaunlich, ab da wurden wir mit Anfragen überrannt – national, wie auch international. Jetzt sind weitere Pilotkunden hinzugekommen.

Weinstock – Für uns als Hersteller ist es elementar, dass wir Schnittstellen nutzen können. So ist für uns weiterhin das führende System unsere Fensterbausoftware und wir schicken die wichtigen Daten über einen Transfer-Server an die Plattform und die Plattform meldet uns notwendige Daten, wie Buchungsstatus, Verweildauer und Geodaten wieder zurück. So ändert sich für unsere Mitarbeiter nichts, sie arbeiten weiter im bestehenden System und alles andere läuft im Hintergrund.

Glaswelt – Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung für die Biss.ID?

Huber – Da wir eine webbasierte, offene Plattform sind, haben wir die Möglichkeit, webbasierte Applikationen bei uns zu integrieren, sodass wir nicht alles selbst entwickeln müssen. So können wir gute, funktionierende Anwendungen schnell und einfach integrieren, die unsere Kunden individuell buchen können. Module wie digitale Lieferscheine, Tourenplanung mit Echzeitdaten, Führerscheinkontrolle von Fahrern oder auch eine Prüfmittelverwaltung für die UVV-Prüfung von Gestellen sind abbildbar. Unsere Vision ist es, dass wir eine zentrale Plattform zum Datenaustausch in der Baubranche anbieten. Als weiteren Schritt werden wir dann die NFC-Thematik mit integrieren, sodass auch dort weitere Services ent­stehen.

Weinstock – Für uns als Gesellschafter war es ein wichtiger Schritt, mit Jürgen Huber ­einen kompetenten Geschäftsführer gefunden zu ­haben. Wir haben genügend mit unserem ­Kerngeschäft, Fenster und Türen zu bauen, zu tun. Nichtsdestotrotz unterstützen wir gerne und sind darüber hinaus auch weiterhin erster Testkunde für alles, was die Biss.ID noch ­entwickeln wird. Ich denke wir dürfen gespannt sein.

GLASWELT – Meine Herren, Danke für die Informationen und weiterhin viel Erfolg!

Die Fragen platzierte Chefredakteur Daniel Mund.

NFC-Typenschilder zur eindeutigen Identifikation von Paletten

Foto: Biss.ID

NFC-Typenschilder zur eindeutigen Identifikation von Paletten
Tracker am Gestell

Foto: Biss.ID

Tracker am Gestell

Wir können die ­aktuelle Position von ­Gestellen ­unserer Kunden in ­unserem Modul Biss.ID ­Tracking sichtbar machen.

Jürgen Huber, geschäftsführender ­Gesellschafter von Biss.ID

Foto: Biss.ID