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Interview mit Sebastian Dengg

Wenn Glas alleine nicht mehr ausreicht

GW – Sicherheitsglas in Kombination mit Polycarbonat ist im Aufschwung. Welche Funktionen übernehmen die einzelnen Komponenten?

Sebastian Dengg: – In solchen Verbundsystemen fungiert das Glas als äußere Schutz- und Tragschicht. Es bringt Härte, Druckfestigkeit und Witterungsbeständigkeit mit. Die mechanischen Eigenschaften des Glases werden weiterhin genutzt, um die Gesamtstruktur der Verglasung möglichst widerstandsfähig zu gestalten. Das Polycarbonat übernimmt mit seiner Schlagzähigkeit die Rolle der energieabsorbierenden bzw. energieverteilenden Schicht – insbesondere bei Angriffen wie Axtschlägen, Beschuss oder dynamischen Lasten. Eine durchdachte Kombination aus Glas und Polycarbonat in unterschiedlichen Anteilen und Anordnungen ist daher entscheidend für eine widerstandsfähige und wirtschaftlich sinnvolle Glasstruktur.

GW – Was macht solche Scheibenaufbauten komplex?

Dengg – Wesentlich ist, wie diese Materialien miteinander kombiniert, laminiert und integriert werden. Der Verbund muss so ausgelegt sein, dass Angriffsszenarien wirksam gehemmt werden, gleichzeitig aber auch Spannungen durch Temperaturunterschiede oder Spitzenbelastungen im System aufgenommen werden können. Wichtig ist zudem: Befindet sich das Polycarbonat auf der Schutzseite - wie es bei manchen durchschusshemmenden Gläsern der Fall ist - kann es mit kratzhemmenden Beschichtungen versehen werden. Wird diese Oberfläche sach- und fachgerecht gereinigt kann die Verglasung funktional und optisch unauffällig bleiben.

Die hohe ­Schlagzähigkeit von Poly­carbonat kann ­konstruktiv vorteilhaft sein, ­erfordert ­jedoch ein geeignetes ­Verglasungs­system.

GW – Was ist bei der Verwendung von Polycarbonat in Glasaufbauten zu beachten?

Dengg – Die zentrale Herausforderung liegt in der Materialkombination. Glas und Polycarbonat unterscheiden sich nicht nur mechanisch, sondern auch thermisch – insbesondere hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Ausdehnung bei Temperaturschwankungen. Ein geeigneter, fehlerfreier Verbund ist hier essenziell.

GW – Was ist noch wichtig, gerade in Bezug auf den Einbau?

Dengg – Auch beim Einbau in Rahmensysteme gibt es einiges zu beachten. Die hohe Schlagzähigkeit von Polycarbonat kann konstruktiv vorteilhaft sein, erfordert jedoch ein geeignetes Verglasungssystem. Blockierung, Befestigung im Rahmen, Materialverträglichkeit etc. müssen entsprechend abgestimmt sein.

GW – Also ist bei solchen Produkten höchste Sorgfalt geboten?

Dengg – Richtig Ein ungeeigneter Verbundaufbau und fehlerhafte Verglasung können nicht nur ein Sicherheitsrisiko darstellen, sondern auch zu irreparablen Glasschäden über längere Zeit führen. Neben optischen Beeinträchtigungen kann es zu Spannungsrissen oder Delamination kommen. Darüber hinaus ist die Herstellung solcher Scheiben anspruchsvoll. Wenn optische Qualität, Delaminationsfreiheit und mechanische Leistungsfähigkeit gleichzeitig gefordert sind, stoßen Hersteller oft an ihre Grenzen. Hier trennt sich technologisch schnell die Spreu vom Weizen.

Wo ein geringes Gewicht, eine geringe Dicke sowie die Aufnahme hoher dynamischer Lasten
gefordert sind ist der Einsatz von ­Polycarbonat-Verbundglas oft die einzige ­technisch sinnvolle Lösung.

GW – Erläutern Sie bitte noch die wesentlichen Unterschiede zwischen Polycarbonatglas und folienbasiertem Sicherheitsglas (VSG)?

Dengg – VSG basiert auf der Verbindung mehrerer Glasscheiben mit reißfesten Folien wie PVB oder SGP. Diese Struktur hat sich über Jahrzehnte bewährt, ist gut verarbeitbar, kosteneffizient und – bei entsprechender Dicke – auch für hohe Widerstandsklassen geeignet. Voraussetzung ist allerdings, dass Rahmen, Befestigungssysteme und Baukörper die relativ hohen Lasten und Dicken aufnehmen können.

Polycarbonat-Glas Kombinationen bieten hingegen Schlagzähigkeit und Energieverteilung. Sie können gezielte Angriffe mit geringerer Dicke und Masse abwehren. Solche Gläser haben jedoch auch einen deutlich höheren Preis als Standard-VSG-Aufbauten.

GW – Lohnt sich für Glasverarbeiter der Einstieg in dieses Produktfeld?

Dengg – Das kommt darauf an: Mit dem nötigen Know-how sind die speziellen Anforderungen an die Verglasung beherrschbar. Das bedeutet jedoch auch im Vorfeld, sich in diese Materie einzuarbeiten und Erfahrung zu sammeln. Das bedeutet Investitionen in Zeit und Geld.

GW – Noch einmal auf den Punkt gebracht, wo sollte oder muss man Polycarbonat-Glas-Kombinationen einsetzen?

Dengg – Wo ein geringes Gewicht, eine geringe Dicke sowie die Aufnahme dynamischer Lasten und flexible Nachrüstung gefordert sind – etwa bei denkmalgeschützten Fassaden – ist der Einsatz von Polycarbonat-Verbundglas oft die einzige technisch sinnvolle Lösung. Wo relativ hohe Glasdicken- und gewichte aufgenommen werden können – oder wo Überformate gefragt sind – bleiben Ganzglasverbunde weiterhin der Platzhirsch.

Die Fragen stellte Matthias Rehberger

Sebastian Dengg, Inhaber von Dengg engineering security

Foto: Sebastian Dengg

Sebastian Dengg, Inhaber von Dengg engineering security

Über Sebastian Dengg

Sebastian Dengg ist Experte für Hochsicherheitsgläser und mechanische Sicherheitsglas-Systeme. Er besitzt über 20 Jahre Erfahrung in der Beratung und Entwicklung solcher Systeme.

www.dengg-es.de

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