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Interview mit Hermann Schüller

„Wir gehen gestärkt aus der Corona-Krise hervor“

Glaswelt – Herr Schüller, wie hat die Corona-Pandemie den Markt aus Ihrer Sicht verändert?

Schüller – Die Pandemie und der Lockdown haben in der Bevölkerung – und somit auch in allen Branchen – einen negativen Stress ausgelöst. Alle
Marktteilnehmer haben zunächst eine kurze Bestandsaufnahme mit Schlussfolgerungen durchgeführt. Darauf haben die Märkte reagiert, wenn auch regional sehr differenziert. Viele Marktteilnehmer beantragten unverzüglich Kurzarbeit, da sie im ersten Moment glaubten, ihre Aufträge brechen massiv ein. Das Gegenteil trat ein, nur die ost- und süddeutschen Märkte, wo die auferlegten Restriktionen, z. B. auf Baustellen, unmittelbar zu spüren waren, hatten mit geringeren Aufträgen zu tun. Dagegen zeigten die nord- und westdeutschen Märkte nahezu keine negativen Entwicklungen auf. Insgesamt, und aus heutiger Sicht, ist jedoch kein wirklicher Einbruch feststellbar. Die Auswirkungen der Investitionshemmnisse werden wir im Bau aber noch in einigen Monaten zu spüren bekommen.

Glaswelt – Und wie haben Sie reagiert?

Schüller – Natürlich hat dies auch in unserem Unternehmen negativen Stress ausgelöst. Wir haben unterschiedliche Planungsszenarien für die kommenden drei Jahre durchgespielt, was Wirtschaftlichkeit und Liquidität betrifft. Unsere Botschaft an die Mitarbeiter war: Semco ist mit nahezu 70 % Eigenkapital gut aufgestellt und kann mit einem eventuellen Umsatzrückgang von 50 % die nächsten drei Jahre überleben.

Wir haben Hygienevorschriften eingeführt und achten strikt auf deren Einhaltung, nicht notwendige Ausgaben werden zurückgehalten und die Investitionen vorläufig gestoppt. Alle Führungskräfte und Mitarbeiter sind standortübergreifend durch Video-Konferenzen schneller und noch besser zusammengerückt. Corona hat ein ohnehin sehr starkes Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Semco Glasgruppe noch einmal verstärkt.

Glaswelt – Wie haben Sie die Mitarbeiter mit eingebunden?

Schüller – Wir praktizieren keine Top-down-Entscheidungen, sondern binden unsere Mitarbeiter in die wichtigsten Entscheidungen mit ein. Alle Entscheidungen sind damit praktikabel umsetzbar. Dies gilt – mit Blick auf die Corona-Krise – insbesondere für die Hygienevorschriften wie auch für alle weiteren Präventionsmaßnahmen.

Die Mitarbeiter aus den Niederlassungen entwickelten die unterschiedlichsten Vorschläge zur Verbesserung der Hygiene und den Schutz vor Infektionen: Dazu zählten neue Schichtmodelle für das Büro- und Produktionspersonal, Homeoffice und wöchentliche Corona-Krisenmeetings per Video. Diese Meetings haben erheblich dazu beigetragen, dass wir die Veränderungen zügig umsetzen konnten.

In dieser Zeit habe ich alle 18 Semco-Standorte
besucht, um mir ein Bild vor Ort zu machen. Dabei habe ich viele Eindrücke gewonnen, Vorschläge bekommen, aber auch Sorgen unserer Mitarbeiter mitgenommen. Ob Auszubildende, gewerbliche, kaufmännische Mitarbeiter oder Führungskräfte: Ich habe ein Spiegelbild der Unsicherheiten, Sorgen und finanziellen Schwierigkeiten in den Familien mitnehmen können und daraus gemeinsam mit unseren Führungskräften Lösungen entwickelt. So haben wir unseren Mitarbeitern z. B. zinslose Darlehen angeboten, wenn sie mit ihren Familien in einen finanziellen Engpass bzw. in Not geraten sollten. Die Flexibilität und die Geschwindigkeit, mit der wir auf die Corona-Krise reagiert haben, wurden von allen Mitarbeitern als sehr positiv wahrgenommen.

Glaswelt – Welche positive Erkenntnis nehmen Sie aus der Krise mit?

Schüller – Die Krise hat gezeigt, zu welchen Erfolgen kluge und maßvolle Entscheidungen im Zusammenspiel mit intelligenten Sozialsystemen und einem stabilen Wirtschaftssystem führen können. Nicht umsonst kommen wir in Deutschland so gut durch diese Pandemie. Zudem haben wir in Deutschland bewiesen, dass wir nicht nur in der Lage sind uns sehr diszipliniert, sondern auch sehr schnell und flexibel an neue, schwierige Situationen anpassen können.

Unsere werteorientierte Teamkultur bei Semco hat uns geholfen, in dieser Krise noch stärker zusammenzurücken. Gegenseitiges Vertrauen und hohe Verantwortung jedes Einzelnen haben dazu geführt, dass wir in der Lage sind, in dieser Krise Neues zu lernen und gestärkt hervorzugehen. Mit einem hohen Eigenkapital und einem überdurchschnittlichen Vertrauenskapital haben wir die Krise gemeistert.

Schon vor der Krise haben unsere Kunden ein großes Vertrauen zu uns entwickeln können. Dieses ist in der Krise weiter gewachsen und wir gehen gestärkt aus ihr hervor. Somit ist das sich entwickelnde und hohe Vertrauenskapital die positive Erkenntnis schlechthin.

Glaswelt – Gab es nachhaltige Veränderungen durch Corona für die Semcoglas-Gruppe?

Schüller – Die allgemeingültigen Hygienevorschriften werden wir auch dann umsetzen, wenn in den Herbst- und Frühjahrsmonaten das Infektionsrisiko am höchsten ist. Die zuvor genannten Arbeitsplatz-Flexibilisierungen werden wir dann ebenfalls genau in diesen Zeiten wieder umsetzen und kontinuierlich weiterentwickeln.

Uns allen ist in dieser Krise bewusst geworden, dass wir noch sensibler mit den Produkten umgehen müssen, die unsere Umwelt belasten. Die Stärke, die Semco in der Krise unter Beweis stellen konnte, ist nun im Bewusstsein unserer Mit­arbeiter fest verankert. Unsere Prinzipien „Investition vor Gewinnausschüttung“, „Eigenfinanzierung vor Fremdfinanzierung“ und unsere vertrauensbildende, werteorientierte Teamkultur haben deutlich gemacht, dass wir das Schiff Semco sicher durch das schwerste Unwetter steuern ­können.

Die Fragen stellte Matthias Rehberger.