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Interview mit Werner Jager 

Der gesamte Kreislauf der Gebäudehülle ein geschlossenes Geschäftsmodell

Glaswelt – In Bezug auf Fassaden fällt häufiger der Begriff „Circular Economy“. Was ist das?

Werner Jager – „Circular Economy” ist mit dem Wort „Kreislaufwirtschaft“ gut übersetzt, im Kern geht es darum, Materialien im Kreislauf zu halten, damit zu wirtschaften und möglichst ein Gleichgewicht zwischen den zu- und den abgeführten Materialströmen zu erzielen. Diese Materialien sind zudem in einer gleichen/­artverwandten Anwendung zu behalten, sprich: Ein recyceltes Fenster wird wieder ein Fenster und kein Motorblock. Andererseits gilt es, die Materialströme in der vollen Menge des Rückbaus wieder im gleichen Markt zum Einsatz zu bringen. Es geht um eine gezielte Wiederverwendung in der Region, d. h. ein im EU-Raum gesammelter Wertstoff wird in der EU komplett wiederverwendet (siehe S. 98).

Glaswelt – Und was ist „Urban Mining“?

Jager – Die „urbane Mine“ versinnbildlicht, dass sich in einer Stadt durch die Vielzahl der Gebäude und der gebauten Infrastrukturprojekte ein Rohstofflager über die letzten Jahrzehnte aufgebaut hat, das gehoben werden kann. Beispiel: Nehmen Sie eine Alufassade aus den 1970er-Jahren. Wird das Gebäude abgerissen oder saniert und steht das Aluminium aus dieser Fassade wieder als Wertstoff zur Verfügung, ist es ein Teil der Kreislaufwirtschaft. Somit werden die aktuell verbauten Materialien zu Rohstoffquellen der Zukunft; ein Gebäude wird zur „Mine“ für Eisen, Beton, Kupfer und eben auch für Aluminium.

Glaswelt – Ist diese Kreislaufwirtschaft auch für die Fassadenbauer relevant?

Jager – Ja. Durch den gezielten Rückbau der Materialien und die Kreislaufwirtschaft ergeben sich weitere und ggf. neue Geschäftsfelder, denn der Fassadenbauer weiß mit am besten, welche verbauten Materialien wie rückgebaut werden müssen, um maximalen Ertrag für das wiederverwendete Material zu erzielen. Zudem werden bzw. müssen Bauherren zukünftig bei Entscheidungen auch Faktoren wie den CO2-Fußabdruck der Baumaterialien berücksichtigen. So hat Schweden bereits CO2-Steuern für das Bauwesen eingeführt, und in London gibt es eine entsprechende freiwillige Verpflichtung großer Projektentwickler. Vor diesem Hintergrund werden Generalunternehmer nicht daran vorbeikommen, sich der Thematik „Null-CO2-Emissionen im Bauwesen“ anzunähern. Das bringt uns wieder zu Materialien aus der Kreislaufwirtschaft, denn diese haben i. d. R. einen deutlich verminderten CO2-Fußabdruck. Anbieter solcher Produkte haben somit Vorteile bei der Vergabe – Stichwort Gebäudezertifizierung – was mit relevant für die Erteilung von Aufträgen werden wird.

Glaswelt – Bringt dies auch Veränderungen für die Konstruktionen von Fassaden mit sich?

Jager – Anfänglich eher langsam. Doch es geht hin zu vereinfachten Konstruktionen, die sich leicht(er) wieder demontieren lassen. Das wiederum beeinflusst auch den Materialmix von Elementen, die leichter dem Recycling für gleiche oder artverwandte Anwendungen zugeführt werden sollen. Hier kommt das Konzept von „Reduce – Reuse – Recycle“ zum Tragen.

Glaswelt – Was bedeutet das im Detail?

Jager – Zuerst geht es darum, die Menge der verbauten Materialien und den Energiebedarf zu reduzieren (= Reduce). Dem folgt die Wiederverwendung (= Reuse) der ausgebauten Elemente, wenn z. B. alte Brüstungsgläser zu Glasfüllungen von Innentüren werden. Schritt 3 ist die Wiederverwertung (= Recycle). Das kann in der Praxis heißen, dass komplexe Verbundstoffe vermieden werden sollten, da sie schwer(er) zu recyceln sind.

vGlaswelt – Wie sehen Sie das Recycling von anderen Materialien wie z. B. Verglasungen?

Jager – Da ist die Glasindustrie, z. B. Saint-Gobain, intensiv dran, gerade beim Recycling sowie auch bei „null CO2-Emissionen“ beim Herstellungsprozess. Beim Recycling sind Verbundglas-Aufbauten sowie Beschichtungen und Einfärbungen bei bestimmten Gläsern schwierig.

Auch Dichtstoffhersteller, etwa Dow, bieten bereits Recyclingstrategien sowie Herstellungsmöglichkeiten mit „null CO2-Emissionen“ an.

Glaswelt – Sehen Sie neue Geschäftsmodelle für Fenster- und Fassadenbauer?

Jager – Hier wird die Digitalisierung der Gebäudehülle – wie die iWIN-Lösung von Saint-Gobain – es sehr einfach machen, die eingebauten Produkte bis auf die verwendete Schraube in einer „Artikelliste“ (= Bill of Material – BOM) transparent zu machen. Ein Geschäftsfeld wird die Wartung und Pflege und die dadurch bedingte verlängerte Nutzungsdauer z. B. der Fassade. Hier können auch Fassadenbauer einsteigen. Ein weiteres Feld wird das Ertüchtigen bestehender Konstruktionen sein, z. B. durch Einbau neuer Wärmeschutzgläser in ältere Rahmen, Stichwort Vakuumglas. Ein drittes Betätigungsfeld kann die fachgerechte Demontage und Sortierung der rückgebauten Elemente werden. Um als viertes Arbeitsfeld dann gleich neue Glas- oder Fassadenelemente einzubauen. So wird der gesamte Kreislauf der Gebäudehülle ein geschlossenes Geschäftsmodell.

Die Fragen stellte Matthias Rehberger.

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