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Aus der Gutachterpraxis

Ein kleiner, teurer Unterschied

War es gerechtfertigt – wie der Bauherr forderte – alle Scheiben auszutauschen? Beim Ortstermin wurden alle Isolierglasscheiben begutachtet. Der Sachverständige zog zur Beurteilung der Kratzer die „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas“ heran. Darin wird unterschieden nach zumutbaren und nicht zumutbaren Mängeln und Schäden. Allerdings sollte die Richtlinie keinesfalls so verstanden werden, dass unterhalb der dort beschriebenen Grenzen die Schäden hingenommen werden müssen.

Im vorliegenden Fall wurde für jede Scheibe in Anlehnung an die Richtlinie festgestellt, ob
a) Kratzer sichtbar sind, die jedoch hingenommen werden können und
b) Kratzer sichtbar sind, die eine derart große Beeinträchtigung darstellen, dass ein Austausch der Isolierglasscheiben gefordert werden kann.

Beurteilungskriterien
Für die finale Beurteilung der Schäden ist nur der Sachverständige verantwortlich, und das macht Sinn. So dürfe beispielsweise laut Richtlinie die Beurteilung der Kratzer nur bei diffusem Licht, d.h. bei Bewölkung erfolgen. Aus Gutachtersicht kann jedoch nicht ignoriert werden, dass übers Jahr gesehen sehr häufig auch die Sonne scheint. Deshalb kann die Beurteilung auch bei Sonnenschein erfolgen.

Ferner sollte die Raumnutzung mit in die Beurteilung einfließen. Man muss eine Scheibe im Badezimmerfenster oder im Fenster eines Abstellraums anders beurteilen, als eine Scheibe in einem Büro- oder Wohnzimmerfenster.

Aufgrund des geschilderten Bauablaufes und des Schadensbildes ging für den Gutachter hervor, dass die Kratzer bei der Reinigung entstanden sein müssen. Bei insgesamt 31 Isoliergläsern sind Kratzer sichtbar. Davon sind, nach den genannten Beurteilungskriterien, auf 19 Isoliergläsern die Kratzer nicht hinnehmbar und sollten/müssten ausgetauscht werden.

Das Gericht ist anderer Meinung
Dieser Beurteilung folgte das Gericht nicht: Die Kratzer stellten unabhängig von ihrer Lage und Größe eine Beschädigung dar, die einen Austausch rechtfertigen, so die Ansicht des Richters.

In seiner Urteilsbegründung führt das Gericht unter anderem aus: „In seinem Gutachten hat der Sachverständige ausgeführt, dass an 31 Isoliergläsern Kratzer vorhanden sind. Sichtbare Kratzer an den Fensterscheiben lassen sich nicht in ‚austauschwürdigeund ‚nicht austauschwürdige Scheiben differenzieren. Wenn eine neue Scheibe mit einem sichtbaren Kratzer versehen wird, ist diese beschädigt. Und man kann nicht nach hinnehmbaren oder nicht hinnehmbaren Schäden unterscheiden. Danach sind alle Scheiben schadensersatzberechtigt“, so die Entscheidung des Gerichts .

Das Fazit des Gutachters
Liefern ISO-Hersteller oder Fensterbauer mangelhafte Scheiben bzw. Fenster mit zerkratzten Gläsern, mag eine Bewertung in Anlehnung an die „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas“ gerechtfertigt sein. Dies gilt jedoch nicht bei einer nachträglichen Beschädigung.

Das bedeutete im vorliegenden Fall für den Gutachter, dass er hier lediglich festzustellen hatte, ob eine Beschädigung vorliegt. Trifft dies zu, so ist der Glasschaden – unabhängig von der Lage und Größe der Beschädigung – durch den Verursacher, hier die Reinigungsfirma, zu ersetzen.

Wolf-Dietrich Chmieleck, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Glastechnik und Glasanwendungen.