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Im Interview mit Wolfgang Reisigl

“Braucht es einen ‚Tesla‘ für die Fensterbranche?“

Glaswelt – Im Herbst 2018 gab es den Wechsel in der Maco-Geschäftsführung: Ewald Marschallinger ging, Sie übernahmen die Geschäfte für die Bereiche Vertrieb, Marketing, Produktmanagement, Forschung & Entwicklung interimistisch. Was bedeutet in diesem Zusammenhang „interimistisch“?

Wolfgang Reisigl – Herr Marschallinger hatte sich zu unserem Bedauern dazu entschlossen, das Unternehmen Maco zu verlassen. Die Position ist nachzubesetzen – ich habe mich bereit erklärt, diese Funktion so lange zu übernehmen, bis der geeignete Nachfolger gefunden wird.

Glaswelt – Sie waren bisher Maico-Geschäftsführer…

Reisigl – Das bin ich immer noch – das bedeutet auch, dass ich im Moment zwei Hüte aufhabe [lacht...] und – wenn Sie so wollen – bin ich auch mein eigener Chef, denn Maico ist eine hundertprozentige Tochter von Maco.

Glaswelt – Können Sie uns das Tochterunternehmen Maico näherbringen?

Reisigl – Ich bin seit 1982 in diesem Unternehmen tätig, seit 1994 auf Geschäftsführerebene. Die italienische Maico vertreibt die Produkte von Maco in den Ländern Italien, Schweiz, Griechenland, Portugal, Spanien und Lateinamerika. Insofern war es auch für mich nicht schwierig, mich in die Agenden bei Maco einzuarbeiten. Ich kenne das Unternehmen, die Kolleginnen und Kollegen und die Produkte.

Glaswelt – Wenn Sie keine Mühen hatten, sich einzuarbeiten, wollen Sie dann nicht längerfristig in Salzburg in der Zentrale tätig sein?

Reisigl – Ich hatte von Anfang an gesagt, dass ich das nur mache, so lange Maco keine dauerhafte Nachbesetzung gefunden hat. Es ist für die Familie, die hinter Maco steht sehr wichtig, Kontinuität zu wahren und insofern will man sich ausreichend Zeit nehmen, eine kompetente Besetzung für diese Position zu finden.

Glaswelt – Wann glauben Sie wieder nach Südtirol gehen zu können?

Reisigl – Sobald wir einen Vertriebs-Geschäftsführer gefunden haben. Derzeit laufen interessante Gespräche, fixiert ist aber noch nichts.

Glaswelt – Kommen wir zu einem anderen Thema: Auf der letzten Branchenmesse in Nürnberg hat Maco mit seinen Prototypen für elektromechanische Beschläge viel Aufsehen erregt. Wie viel Ansätze der Prototypen konnte man in die Realität überführen?

Reisigl – Wir müssen hier differenzieren. Beginnen wir mit unseren Ideen für ein neues Verschlusskonzept an der Haustür. Bei diesem komplett neuen Verriegelungssystem sind wir gerade dabei, seriennahe Produkte zu testen. Ziel ist es, bis zur FRONTALE 2020 ein serienreifes System zu präsentieren mit der Markteinführung zu starten. Momentan liegt der Fokus auf der Entwicklung des Umgebungssystems. Wir wollen ein Gesamtsytem anbieten, vom Verschluss bis zum Netzteil.

Glaswelt – Gibt es bereits Hersteller, die das Konzept übernommen haben?

Reisigl – Nein, da wir noch kein Serienprodukt anbieten können. Wir arbeiten seit Beginn der Entwicklung im Mai 2017 eng mit Industriepartnern zusammen, die auf den Marktstart warten.

Glaswelt – Haben Drücker und Zylinder in der Haustür von morgen ausgedient?

Reisigl – Wir sind ja hauptsächlich im Residential-Bereich aktiv. Der Marktanteil von mechatronischen Systemen ist dort deutlich geringer als im Objektbereich. Im Wohnbereich haben wir immer noch überwiegend rein mechanische Systeme. Die Aufgabe besteht jetzt darin, den mechatronischen Anteil auch im privaten Wohnbau stark auszubauen. Hier hilft natürlich auch der Schub, der aus dem Smarthome-Bereich kommt – durch Großanbieter wie Google, Amazon und Co. Der Endnutzer will immer mehr Komfort haben. „Sicherheit“ wird bei der Haustür vorausgesetzt, jetzt gilt es den Komfortaspekt der Bedienung stärker zu berücksichtigen. Ein Beispiel: Der Nutzer möchte nicht immer einen Schlüssel mitführen müssen, er möchte immer die Sicherheit haben, dass die Tür verriegelt ist und dass er selbst und andere zutrittsberechtigte Personen problemlos hineinkommen. Wir glauben, dass sich die Märkte in diese Richtung entwickeln werden. Dann ist die Frage, wer in diesem Segment das interessanteste und ausbaufähigste System hat. Wir sind überzeugt, dass wir mit unseren Produkten vorteilhafte Lösungen bieten.

Glaswelt – Was sind denn die besonderen Vorteile Ihrer Entwicklung?

Reisigl – Sie können die Verriegelungspunkte überall an der Tür einbauen, Sie können eine zweiflügelige Tür oder einen Standflügel sehr einfach verriegeln. Sie können die Verriegelungen sogar bandseitig einsetzen.

Glaswelt – Kommen wir zurück zur Frage, ob Drücker und Zylinder in der Haustür von morgen ausgedient haben?

Reisigl – Ich denke, dass man auf die klassischen Griffe in Zukunft verzichten kann. Aber es werden schon noch Stoßgriffe oder Ähnliches an einer Tür angebracht, denn Sie müssen ja die Tür irgendwie bewegen. Heute brauchen Sie einen Griff und eine Abdeckung für den Zylinder und das ist für jeden Designer ein limitierender Faktor. Wenn das wegfällt, schaffen wir neue Möglichkeiten für das Design. Wenn jetzt noch in diesen Türen ein automatischer Drehöffner eingebaut wird, dann kann der Nutzer via Sprachbefehl diese Tür öffnen. Das sind Ideen, die aus meiner Sicht bald nachgefragt werden. Den Profilzylinder betrachten wir langfristig in der Welt der mechatronischen Beschlagssysteme als nicht mehr zielführend.

Glaswelt – Auf der BAU gab es schon ein Praxisbeispiel zu sehen …

Reisigl – Ja, wir haben schon einige Türen mit seriennahen Produkten realisiert – für Messen, aber vor allem zur Erprobung durch unsere Entwicklungspartner

Glaswelt – Sie hatten einen akkubetriebenen Griff vorgestellt, der die Fensterbedienung besonders leichtgängig gestalten soll. Was ist daraus geworden?

Reisigl – Es handelte sich um eine Speziallösung für einen derzeit kleinen Markt. Auch wenn diese mit großem Interesse aufgenommen wurde, werden Aufwand und Nutzen noch nicht in Relation stehen. Wenn es der demografische Wandel erfordert, haben wir das Konzept in der Schublade.

Glaswelt – Was ist aus dem Hebe-Schiebe-Prototypen geworden?

Reisigl – Dieses innovative Konzept wird vollständig umgesetzt. Auf der nächsten FRONTALE werden wir das Serienprodukt zeigen können. Es wird sogar etwas früher verfügbar sein – und dann auch für andere Materialen als Holz anwendbar sein. Es eröffnen sich damit völlig neue Möglichkeiten für Verarbeiter und Endkunden: Extrem schmale Rahmen werden möglich durch den GFK-Kern. Zudem ist die Neuentwicklung barrierefrei und passivhaustauglich. Besonders hervorzuheben ist aber auch die digitale Komponente: Die Steuerung ist per Smartphone möglich. Abgerundet wird der Systemgedanke durch Serviceleistungen, wie etwa der Vorkonfektionierung oder der Bereitstellung von Lizenzen für CE-Kennzeichnung und Einbruchhemmung. Ich darf Ihnen und Ihren Lesern aber auch schon vorausschicken, dass wir auf der nächsten Messe in Nürnberg im Bereich HS-Elemente etwas komplett Neues zeigen werden. Das wird dann wieder ein Prototyp sein – die Innovation geht also weiter.

Glaswelt – Als besonders mutig wurde die Fensterstudie beurteilt: Diese mechatronische Beschlagsplattform benötigte nur vier Module. Der Funktionsbeschlag wird stark vereinfacht. Ist das der richtige Weg für die Zukunft?

Reisigl – Die Branche ist auf Sicherheit bedacht und wir mussten feststellen, dass wir sehr progressiv in der Entwicklung waren. Unser Ansatz wurde als zu mutig bewertet. Wir sind dabei, diesen nun zu modifizieren und den Weg schrittweise zu gehen. 2020 werden wir eine Weiterentwicklung zur Diskussion stellen. Das Konzept wird so gestaltet sein, dass man in mehreren Schritten zu einem High-End-Produkt gelangen kann.

Glaswelt – Generell besteht ein Standardbeschlag aus vielen hundert Teilen. Schaffen Sie es denn nicht, diese Komplexität einzudämmen?

Reisigl – Das ist eine Frage der Sichtweise. Wenn ich Ihnen als Beschlagshersteller antworte, sage ich ja selbstverständlich, das sollte unser Bestreben sein. Ein Fensterhersteller aber benötigt im Schnitt maximal 170 Artikel, um sein Fenstersortiment abzudecken. Das ist für ihn sicher noch eine überschaubare Größe. Diese Komplexität ist also unser Problem und der Tatsache geschuldet, dass wir für jeden Anwendungsfall eine Lösung anbieten möchten. Wir müssen uns aber auch eine andere Frage stellen: Mit welchen Geschäftsmodellen will die Branche sich in Zukunft an die Kunden wenden? Mit standardisierten Produkten, die leicht austauschbar sind oder mit einer Vielfalt, mit der wir die individuellen Kundenbedürfnisse befriedigen. Der erste Weg geht in Richtung Kostenoptimierung und Standardisierung. Der zweite Weg führt zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden und ist aus meiner Sicht zwar schwieriger, aber der Königsweg.

Glaswelt – Kann sich in dem Punkt die Beschlagsbranche nicht auch einiges von der Autobranche abschauen: Eine simple Plattform, eine Basis schaffen und dennoch dem Fensterhersteller mit weiteren Ausbaustufen Möglichkeiten zur Differenzierung bieten?

Reisigl – Da stimme ich Ihnen zu, aber ich denke, dass wir in dem Punkt systemisch festgefahren sind. Es wird schwierig, hier die gelebte Praxis zu durchbrechen. Es gibt eine Vielzahl von Fensterprofilen, eine Vielzahl von Maschinenanbietern, eine Vielzahl von Isolierglasherstellern und eben auch Beschlagsherstellern. Alle diese Komponenten müssen von einem Fensterhersteller zusammengefügt werden. Eine Veränderung schafft vielleicht nur eine völlig radikale Innovation.

Glaswelt – Braucht es also in der Fensterbranche – oder vielleicht auch in der Beschlagsbranche – einen Innovator von außen, der nicht in diesen Bedingungen gefangen ist – sozusagen einen „Tesla“ für die Fenster?

Reisigl – Diese Chance oder dieses Risiko besteht – je nachdem von welcher Seite aus man das betrachtet. Die Digitalfotografie wurde auch anfangs von der Papierfotobranche belächelt. Heute fotografiert jeder nur noch digital und dieser Change-Prozess dauerte nur wenige Jahre.

Glaswelt – Glauben Sie, dass der DK-Beschlag in 20 Jahren noch Bestand haben wird?

Reisigl – Lassen Sie mich die Frage so beantworten: Wir arbeiten intensiv am nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg unseres Unternehmens. In diesem Zusammenhang suchen wir nach Ideen und Lösungen, die uns weiterbringen und die uns vor allem aus dieser gegenwärtigen Marktsituation – die zwangsläufig eine Sackgasse darstellt – in irgendeiner Form herausführen. Was in 20 Jahren sein wird, weiß ich nicht. Was ich weiß: Es wird sich einiges verändert haben.

Glaswelt – Sie haben die Prototypen der Fensterstudie zusammen mit der BFH Biel entwickelt – geht die Kooperation weiter?

Reisigl – Ja, die Berner Fachhochschule in Biel ist weiterhin mit im Boot. Ich kann da aber nicht mehr dazu sagen, da sowohl die BFH als auch wir gegenseitige Geheimhaltungserklärungen unterschrieben haben.

Glaswelt – Maco hat im letzten Jahr ein Innovationszentrum eröffnet – werden die Innovationsprozesse jetzt dort beschleunigt und institutionalisiert?

Reisigl – Diese Prozesse waren vorher auch schon institutionalisiert – vielleicht sogar zu sehr. Zu einer Innovationsentwicklung bedarf es auch einer Kreativität und gewisser Freiräume und vor allem einer Agilität. Im neuen Technologiezentrum bei uns in Salzburg haben wir deshalb versucht, die Zusammenarbeit und die Kommunikation zu verstärken. Wir müssen beides beherrschen: Prozesse strukturieren, aber auch die Kreativität fördern. Es ist generell ein Problem etablierter Unternehmen, mit disruptiven Innovationen umzugehen. Start-Ups, junge Unternehmen, müssen sich nicht mit Gegebenheiten in ihren Branchen beschäftigen. Größere Konzerne gründen deshalb mittlerweile eigene Start-Ups, die völlig losgelöst von der eigentlichen Organisation agieren können.

Glaswelt – Maco war in diesem Jahr nicht auf der BAU vertreten. Und auch Hautau hat der BAU eine Absage erteilt. Wird jetzt die Abstinenz in München eine Dauereinrichtung?

Reisigl – Zunächst möchte ich sagen, dass beide Unternehmen nicht auf der BAU in München vertreten waren, war nicht abgestimmt. Als wir Hautau letztes Jahr erworben hatten, war diese Entscheidung bereits getroffen. Wir prüfen generell sehr genau, welchen Nutzen Messen bringen. Wir möchten uns auf ganz wenige Messen konzentrieren, auf denen wir dann echte Neuheiten zeigen, die beim Messebesucher auch wirklich in Erinnerung bleiben. Das gelingt uns im Zweijahresrhythmus der FRONTALE.

Glaswelt – Herr Reisigl, herzlichen Dank für das Interview und die interessanten Informationen. —

Das Gespräch führte Daniel Mund.

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