Thermische Brüche sind keine neuen Schäden, sondern decken vorhandene Schwächen im Glas auf.
Bei Fassadengläsern stellen thermisch bedingte Brüche eine latente Bedrohung dar. Sie treten auf, wenn Klimalasten und Unsicherheiten bei der Glaskantenqualität zusammentreffen, wodurch eine Grauzone entsteht, in der die Bruchwahrscheinlichkeit schwer vorhersagbar ist. Dies führt oft zu überdimensionierten Bemessungen oder unerwarteten Ausfällen. Doch das muss nicht sein, wie sie hier erfahren.
Was ist eine thermische Spannung? Stellen Sie sich eine Glasscheibe an einem kalten Wintermorgen vor, auf die Sonnenlicht trifft. Das Zentrum absorbiert Sonnenstrahlung und erwärmt sich, die Ränder bleiben kalt. Dies erzeugt innere Spannungen und bereits vorhandene mikroskopische Risse im Glas zu sichtbaren Brüchen anwachsen lassen. Sehr oft sind thermische Brüche keine neuen Schäden, sondern decken vorhandene Schwächen (z. B. Mikrorisse) im Glas auf. Unter „normalen“ Bedingungen bleiben diese Mikrorisse ruhend. Bei genügend thermischer Spannung können sich solche Mikrorisse jedoch schnell über die gesamte Scheibe ausbreiten.
Drei gleichzeitige Bedingungen führen zu thermischen Brüchen
Hohe Glasabsorption und/oder geringe Wärmeableitung: Das Glas muss genügend Sonnenenergie speichern, um bedeutende Temperaturunterschiede zu erzeugen. Gründe hierfür sind unter anderem dunkle Beschichtungen, getöntes Glas oder dunkle angrenzende Elemente (z. B. ein dunkles Rollo, ein Sofa hinter der Scheibe).
Extreme Wetterkombinationen: Hohe Sonneneinstrahlung bei kalten Außentemperaturen – nur bei bestimmten Ausrichtungen und Standorten.
Schäden am Glasrand: Fertigungsprozesse hinterlassen unvermeidlich mikroskopische Risse entlang der Glaskanten, die zu Ausgangspunkten für thermische Brüche werden können. Schlechte Kanten erhöhen das Risiko.
Hauptstrategien, um thermischen Glasbrüchen vorzubeugen
Kantenqualität verbessern: Saubere Schnitte und Kantenpolitur reduzieren Mikrorisse, sie lösen das Problem jedoch nicht vollständig.
Absorption reduzieren: Weißglas oder modifizierte Beschichtungen verringern die thermischen Spannungskräfte in der Scheibe, können dabei aber andere Leistungsanforderungen beeinträchtigen.
Glasverstärkung: Vorspannung bietet einen zuverlässigen Schutz, verursacht jedoch zusätzliche Kosten und kann andere Herausforderungen mit sich bringen.
Bis dato haben sich Fachleute auf ihre Erfahrungen verlassen. Jedoch haben technische Fortschritte das thermische Verhalten von Flachglas dramatisch verändert, wodurch traditionelle Faustregeln unzuverlässig werden.
Klassische Erfahrungswerte reichen nicht mehr aus
Bis dato haben sich Fachleute auf ihre Erfahrungen verlassen. Jedoch haben technische Fortschritte das thermische Verhalten von Flachglas dramatisch verändert, wodurch traditionelle Faustregeln unzuverlässig werden.
Gründe:Aktuelle Warm-Edge-Abstandhalter und thermisch getrennte Rahmen veränderten die Temperaturverteilung bei Gläsern grundlegend. Dabei sind Außenscheiben höheren Risiken ausgesetzt als erwartet. Neue Kombi-Beschichtungen erhöhen die Sonnenabsorption und Wärmespeicherung von Gläsern drastisch. Und eine Spektralanalyse nach EN410 zeigt oft geringere Spannungen als traditionelle Methoden vorhersagen.
Aktuelle Bewertungsmethoden und Entwicklungen
Die französische DTU39-Methode war der erste standardisierte Ansatz, beruht jedoch auf theoretischen Bedingungen und spiegelt moderne Systeme nicht genau wider, was zu unnötigen Kosten oder Ausfällen führt.
Ermutigende Entwicklungen sind im Gange.
So wird aktuell eine europäische Spannungsnorm entwickelt. Darüber hinaus sind bahnbrechende analytische Ansätze entstanden und werden bereits in Standard-Software-Tools integriert, die grundlegend verändern, wie wir thermische Spannungsrisiken bewerten.
Diese neuen Ansätze können Glaskombinationen gegenüber Jahrzehnte tatsächlicher Wetterbedingungen testen/prüfen und eine bisher beispiellose Genauigkeit bei der Risikobewertung erreichen. Dies stellt einen Paradigmenwechsel von konservativen Schätzungen zu datengestützten Vorhersagen dar, der erhebliche Kosten spart und Sicherheitsmargen verbessert.
Das Ziel ist dabei Risiken zu identifizieren, und daraus dann – wenn nötig – Präventivmaßnahmen abzuleiten und umzusetzen.
Beispiel: Ein absorbierendes Glas mit Westausrichtung an einem Küstenstandort wird keine thermische Spannungen erfahren, während dasselbe Glas mit Ostausrichtung in kontinentalem Klima einem erheblichem Risiko ausgesetzt ist.
In kommenden Artikeln wird untersucht, wie Umweltbedingungen die Spannungsberechnung beeinflusst, und es werden Bewertungsmethoden zur Weiterentwicklung dieses kritischen Aspekts des Glasdesigns verglichen.
Warm-Edge-Abstandhalter und thermisch getrennte Rahmen änderten die Temperaturverteilung bei Gläsern, Außenscheiben sind höheren Risiken ausgesetzt.
Der Autor
Luca Papaiz ist Glasforscher und Gründer der glassAdvisor GmbH, die einen Multi-Brand-Glaskonfigurator entwickelt hat und diesen für Glasverarbeiter und Planer in verschiedenen Sprachen bereitstellt.
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