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90 Jahre DK-Fenster: Geniale Erfindung – fatale Gewohnheit

In den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg wurde dieser Dreh-Kipp-Beschlag deutlich weiterentwickelt (Beispiel: Der erste rechts/links verwendbare Dreh-Kipp-Be­schlag von Siegenia erobert 1954 den Markt). Aus der ersten Dreh-Kipp-Idee entstand eine moderne Beschlagtechnik mit hohem Bedienkomfort, höherer Tragfähigkeit und deutlich verbesserter Sicherheit.

Besonders wichtig: Die Einführung umlaufender Pilzkopfzapfen, die sich beim Schließen fest in die Schließbleche des Rahmens einhaken und so ein Aufhebeln des Fensters stark erschweren. Damit konnte der DK-Beschlag die Widerstandsfähigkeit beim Einbruchsversuch deutlich erhöhen. Heute ist das DK-Fenster in Deutschland und Mitteleuropa der Standard.

Technisch und auch aus der Sicht der Marktdurchdringung ist der Dreh-Kipp-Beschlag also eine Erfolgsstory – und seine 90 Jahre sind ein echter Meilenstein.

Wo die Erfolgsgeschichte zum Alltagsproblem wird

Mit der “TiltSafe“-Technik lässt sich auch bei Fenstern in Kippstellung eine Einbruchhemmung gemäß RC 2 erzielen. Die Basis dafür schaffen je drei gleiche Sicherheits-Kipplüftungsbauteile aus Stahl für den Rechts- bzw. Linksanschlag.

Roto

Mit der “TiltSafe“-Technik lässt sich auch bei Fenstern in Kippstellung eine Einbruchhemmung gemäß RC 2 erzielen. Die Basis dafür schaffen je drei gleiche Sicherheits-Kipplüftungsbauteile aus Stahl für den Rechts- bzw. Linksanschlag.

Die Kehrseite: Gerade weil die Kippfunktion so bequem ist, wird sie im Alltag massiv fehlgenutzt – insbesondere im Winter und in den Übergangsjahreszeiten.

Typische Denkfehler:  „Der Spalt ist klein, also kann ich das Fenster stundenlang gekippt lassen.“ „Gekippt heißt: ich lüfte permanent – das ist gut fürs Raumklima.“ „Ich muss die Fensterbank nicht freiräumen, also kippe ich einfach.“

Bauphysikalisch ist das – vor allem in der Heizperiode – ein Trugschluss. Im gekippten Zustand findet zwar zunächst ein gewisser Luftaustausch statt, aber nur so lange ein spürbarer Temperatur- und Dampfdruckunterschied zwischen innen und außen besteht. Sehr schnell stellt sich zwischen beiden Seiten ein ähnlicher Dampfdruck ein, und damit bricht der wirksame Feuchteabtransport nahezu zusammen. Die Luft im Bereich des Kipp-Spalts kühlt stark ab, wird schwerer und „steht“ förmlich. Das Fenster ist zwar formal „offen“, aber die überschüssige Feuchte bleibt zu großen Teilen im Raum und sucht sich die kältesten Oberflächen.

Das Kippfenster vermittelt also nur das Gefühl von „Lüften“, ohne zuverlässig zu entfeuchten.

Algenbewuchs an der Fassade

Die Folgen sind sichtbar – sowohl an der Fassade als auch im Fensteranschluss selbst. Über längere Zeit gekippte Fenster führen häufig an der Außenwand zu Algenbildung im Bereich oberhalb der Öffnung. Aus dem Spalt entweicht regelmäßig leicht feuchte, temperierte Innenluft. Trifft diese auf die kalte Außenfassade, kühlt sie schlagartig ab, und die enthaltene Feuchtigkeit schlägt sich lokal nieder. Die Fläche oberhalb des Fensters ist dann dauerhaft etwas feuchter als die übrige Fassade. Zusammen mit Luftschadstoffen und Sporen bildet das einen idealen Nährboden für Algen und Mikroorganismen. Das typische Bild: Grünliche bis dunkle Streifen oder Schmutzfahnen genau über Fenstern, die gerne und lange gekippt werden.

Tauwasser und Schimmelrisiko im Leibungsbereich

Im Innenbereich zeigt sich das Problem vor allem im Leibungsbereich. In Kippstellung kühlen die Leibungsflanken und angrenzenden Bauteilzonen stark aus, weil dort über Stunden eine kalte Außenluftschicht anliegt. Gleichzeitig strömt aus dem Raum warme, feuchte Luft an diese kalten Flächen. Unterschreitet die Oberflächentemperatur den Taupunkt der Raumluft, entsteht Tauwasser. Zunächst zeigt es sich als Kondensatfilm oder einzelne Tropfen, später als dunkle Verfärbungen, Putzabplatzungen und im ungünstigsten Fall als Schimmelbefall. Je länger das Fenster im Winter gekippt bleibt, desto stärker kühlt die Leibung aus – und desto größer wird das Risiko für dauerhafte Feuchte- und Schimmelschäden.

Klare Regeln statt Kipp-Mythen

  • Im Winter Kipplüften weitgehend vergessen Kein stundenlang gekipptes Fenster – weder tagsüber noch nachts. Kipplüften ist keine Dauerlüftung, sondern ein Energiefresser mit Bauschadensrisiko.
    Besonders problematisch ist die Kippstellung in den (kalten) Schlafräumen in Verbindung mit geöffneten Zimmertüren zum Wohn- und Kochbereich.
  • Besser: Stoß- und Querlüftung 2–4 Mal täglich: Fenster weit auf (Dreh- oder Schwingstellung), möglichst Querlüftung über gegenüberliegende Öffnungen, 5–10 Minuten kräftig lüften, dann wieder ganz schließen. Besonders nach Feuchte-Spitzen: Duschen/Baden, Kochen, Wäsche trocknen, vielen Personen im Raum.
  • Warnsignale ernst nehmen An der Fassade grünliche oder dunkle Beläge über Fenstern:
    → Hinweis auf häufiges, langes Kipplüften und hohe Feuchtebelastung. Feuchte Ecken oder dunkle Flecken in der Leibung:
    → Lüftungs- und Heizverhalten prüfen, ggf. Fachbetrieb hinzuziehen.
  • Öffnungsarten, bei denen die Probleme geringer sind

    Ein Blick auf alternative Lüftungsarten zeigt, dass es auch anders geht. Reine Drehfenster werden in der Praxis meist vollständig geöffnet – für wenige Minuten, aber mit hohem Luftwechsel. Stoß- und Querlüftung über weit geöffnete Flügel sorgen dafür, dass verbrauchte und feuchte Luft in kurzer Zeit ausgetauscht wird, ohne dass einzelne Bauteilbereiche über Stunden auskühlen.

    Schiebefenster und Parallel-Schiebe-Systeme werden häufig großflächig für begrenzte Zeit geöffnet, zum Beispiel in Verbindung mit einem gegenüberliegenden Fenster. Auch hier steht der kurze, intensive Luftwechsel im Vordergrund, nicht das dauerhafte „ein bisschen offen“.

    Weiterer Vorteil: In der

    Winkhaus

    Weiterer Vorteil: In der "geschlöffneten" Öffnungsstellung behält das Fenster seine einbruchhemmenden Eigenschaften bei.

    Zwischen „ganz offen“ und „Kipp“ gibt es zudem eine interessante Zwischenlösung, die in der Praxis oft zu wenig beachtet wird: das „Schlöffnen“ bzw. die Spaltlüftungsfunktion. Dabei wird der Flügel über den Beschlag wenige Millimeter bis vielleicht einen Zentimeter vom Rahmen abgestellt, ohne in die klassische Kippstellung zu gehen. Diese definierte Spaltlüftung kann – je nach Beschlag und Einstellung – einen gleichmäßigeren, kontrollierten Luftwechsel ermöglichen, ohne die extremen Temperaturunterschiede und Luftstromkonzentrationen im Leibungsbereich wie beim weit aufgekippten Flügel zu erzeugen. In Kombination mit zeitlicher Begrenzung (zum Beispiel über Beschlagseinstellungen oder nutzerseitige Lüftungsroutinen) lässt sich so eine dauerhafte Kippstellung vermeiden, bei gleichzeitig verbessertem Feuchteabtransport gegenüber dem komplett geschlossenen Fenster.

    Auch Dachfenster mit Schwing- oder Klapp-Schwingfunktion arbeiten bauphysikalisch deutlich günstiger als das klassische, lange gekippte Senkrechtfenster. Aufgrund ihrer Lage im Dach nutzen sie den thermischen Auftrieb: Warme, feuchte Luft steigt nach oben und kann durch ein kurzzeitig geöffnetes Dachfenster sehr effektiv entweichen. Schon wenige Minuten Öffnungszeit sorgen hier für einen beeindruckenden Luftwechsel, zumal häufig noch zusätzliche Steuerungen oder Lüftungsfunktionen integriert sind.

    Nutzerverhalten ist entscheidend

    Der entscheidende Punkt ist: Es geht weniger um die Beschlagtechnik an sich, sondern um das typische Nutzungsverhalten, das sie auslöst. Öffnungsarten, die zum „kurz und weit offen“ einladen – wie Dreh-, Schwing- oder Schiebesysteme und eine bewusst eingesetzte Spaltlüftung – unterstützen eine schnelle, effektive Entfeuchtung. Die bequeme Kippstellung hingegen verführt zum Dauerlüften im Spalt und erzeugt damit genau die Bau- und Feuchteprobleme, die wir heute an vielen Fassaden und Fensteranschlüssen beobachten.

    Zum 90. Geburtstag des Dreh-Kipp-Fensters lohnt sich daher ein doppelter Blick: Einerseits auf die beeindruckende ingenieurtechnische Leistung von Wilhelm Frank und die weiterentwickelten Beschlagssysteme mit ihren hohen Sicherheits- und Komfortstandards. Andererseits auf die Frage, ob unsere Gewohnheit, im Winter stundenlang zu kippen, noch zeitgemäß ist. Die Antwort fällt aus bauphysikalischer Sicht klar aus: Die Erfindung ist genial, die Nutzung in Form des Dauer-Kipplüftens jedoch problematisch.

    Auf einen Nenner gebracht: Das Dreh-Kipp-Fenster ist eine großartige Erfindung. Aber im Winter gilt: drehen, stoßlüften, spaltlüften – statt stundenlang kippen. Kurz auf, weit auf, wieder zu.

    Chefredakteur Daniel Mund
    Ich liebe das Dreh-Kipp-Fenster – vor allem dann, wenn es ganz geöffnet in Drehstellung steht oder sauber geschlossen ist. Denn nur so funktioniert Lüften wirklich: kurz, kräftig, kontrolliert.
    Von der bequemen Spaltlüftung halte ich dagegen wenig. Sie gaukelt Kontinuität vor, bringt aber bauphysikalisch mehr Probleme als Nutzen. Wer seine Fenster und seine Fassade liebt, kippt im Winter so wenig wie möglich.