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Im Gespräch mit Jochen Grönegräs

Tacheles in Sachen Vogelschutzglas

Glaswelt – Herr Grönegräs, man liest, dass bei uns jährlich hunderte Millionen Vögel durch Kollision mit Glas sterben. Ist das wirklich so viel?

Jochen Grönegräs – Diese Zahlen sind Hochrechnungen, die von Größen wie Anzahl der Gebäude oder installierten Glasflächen ausgehen und dann z. B. eine durchschnittliche Schadenszahl je Gebäude oder Fläche annehmen. Das ist aber mit hohen Unsicherheiten behaftet. Durch das Zählen realer Opfer kommt man der Wahrheit aber auch kaum näher, weil das methodisch schwierig ist. Es wird in der Praxis ja durchaus an einzelnen, besonders exponierten Objekten gemacht – davon hat man aber auch noch keine zuverlässigen Gesamtzahlen. Ich finde es aber auch nicht lohnend, sich an der Frage abzuarbeiten, wie viele Vögel jetzt genau betroffen sind. Was würde es ändern, wenn es ein paar Millionen weniger wären? Das Thema hätte trotzdem unverändert hohe Relevanz, auch für uns als Branche.

GW – In Hessen wurde das Naturschutzgesetz verabschiedet, inklusive § 37 „Artenschutz bei baulichen Anlagen, Vermeidung von Vogelschlag an Glasflächen“. Der BF hatte sich gemeinsam mit dem VFF und weiteren Verbänden zum Entwurf des Gesetzes zu Wort gemeldet – das wurde jedoch nicht berücksichtigt, warum?

Grönegräs – Leider nicht. Das Gesetz ist im Juni 2023 in Kraft getreten, gegenüber dem Entwurf unverändert. Die hessische CDU-Fraktion, die mit den Grünen gemeinsam regiert, hatte uns mitgeteilt, dass man sich letztlich nicht auf Änderungen einigen konnte, die wir angemahnt und auch konkret vorgeschlagen hatten.

GW – Ist denn dann durch das Gesetz der Einsatz von Vogelschutzglas in Hessen jetzt Vorschrift?

Grönegräs – Absatz 2 des § 37 sagt: „Die Errichtung großflächiger, vollständig transparenter oder spiegelnder Glaskonstruktionen mit einer zusammenhängenden Glasfläche von mehr als 20 m2 ist in der Regel unzulässig“. Das ist erstmal keine schöne Grundbotschaft gegenüber Glas, und wir haben auch kritisiert, dass wir diese Regelung für nicht sachgerecht halten. Zum einen wegen der 20-m2-Grenze – da wird es Auslegungsbedarf geben, wann eine Glasfläche als „zusammenhängend“ gilt.

Nicht sachgerecht aber auch, weil Transparenz oder Spiegelung zwar die Ursachen für Vogelschlag an Glas sind und auch das Risiko grundsätzlich mit größerer Fläche steigt – aber es gibt ja Vogelschutzgläser als Gegenmaßnahme.

Und wer sagt, dass Hersteller nicht morgen „vollständig transparente oder spiegelnde“ Gläser auf den Markt bringen, die trotzdem als Vogelschutzglas funktionieren? Zumindest an den vollständig transparenten wird ja intensiv gearbeitet.

GW – Gibt es weiteren „Auslegungsbedarf“?

Grönegräs – Ja. Der Absatz 3 des § 37 sagt auch, dass „großflächige Glasfassaden und spiegelnde Fassaden zu vermeiden sind und dort wo sie unvermeidbar sind, so zu gestalten, dass Vogelschlag vermieden wird“. Doch was genau heißt „unvermeidbar“? Nach meinem Verständnis ist der Absatz so gemeint, dass er einen „Befreiungstatbestand“ definiert: Man muss die Fassaden so gestalten, dass Vogelschlag vermieden wird. Die hessische CDU-Fraktion hat uns mitgeteilt, dass man davon ausgehe, dass „spezielle für den Vogelschutz geeignete Verglasungen“ regelmäßig diesen Befreiungstatbestand erfüllen, dann darf also auch mit großflächigen Glasfassaden gebaut werden. Sollte dies wider Erwarten nicht so eintreten und Behörden im Rahmen der Baugenehmigung zu strenge Maßnahmen anlegen, stehe man einer Anpassung des Gesetztes in der nächsten Legislaturperiode offen gegenüber, sagt die Fraktion.

GW – Glauben Sie, dass dieses Gesetzt die Nachfrage nach Vogelschutzglas vorantreiben wird?

Grönegräs – Bestimmt. Wenn man so will, stellt das Gesetz insofern einen Erfolg für die Hersteller von Vogelschutzglas und eine Anerkennung der Entwicklung dieses Produktes dar. Man erinnert sich an unsere Bemühungen, durch die DIN 18008 eine Vorgabe einzuführen, dass bodentiefe Verglasungen aus Sicherheitsglas bestehen müssen. Das wurde bekanntlich letztlich wegen der Kostensteigerung abgewiesen. Hier haben wir nun ein Gesetz, das ein höherwertiges Produkt für große Flächen de facto verlangt.

Nun wird es darauf ankommen, welche Ansprüche die Behörden an die Vogelschutzgläser stellen, speziell an den Nachweis ihrer Wirksamkeit.

GW – Dafür können Hersteller ja Prüfberichte nach den „Flugtunneltests“ vorlegen…

Grönegräs – Ja, es gibt es im Prinzip weltweit zwei relevante Institutionen, die diese Tests durchführen: In den USA die American Bird Conservancy ABC, die in Kooperation mit dem Powdermill Aviation Research Center PARC dort einen Flugtunnel betreibt. Und in Europa die Biologische Station Hohenau-Ringelsdorf in Österreich. Beide führen so genannte Wahlversuche durch: jeweils mindestens 80 Vögel verschiedener Arten werden in den dunklen Tunnel eingesetzt und flüchten zum Licht. Am hellen Ende des Tunnels befinden sich die zu testende markierte Scheibe und eine klare Referenzscheibe, und die Vögel wählen, welche sie anfliegen. Natürlich kommen Vögel dabei nicht zu Schaden; sie werden durch spezielle Netze abgefangen. Aus dem Anteil der Vögel, die jeweils eine der Scheiben anfliegen, wird die Wirksamkeit des zu testenden Vogelschutzglases geschlossen.

GW – Sind denn die Testbedingungen dieser Institutionen standardisiert?

Grönegräs – Nein, die Testbedingungen sind nicht standardisiert. Bei der Interpretation der Ergebnisse sind deshalb einige Dinge zu beachten. Hohenau testet u. a. nach der Österreichischen Norm ONR 191040 „Vogelschutzglas - Prüfung der Wirksamkeit“, die aber nicht normativ eingeführt ist. Es gibt keine verbindliche Norm für die Prüfungen.

GW – Wie ist hier der BF aktiv geworden, um mehr Klarheit zu schaffen?

Grönegräs – Das Fraunhofer ISE hat in unserem Auftrag in einer kleinen Studie u. a. die Unterschiede zwischen den Prüfungen in den beiden Flugtunneln aufgeführt. So kommt es zum Beispiel auch darauf an, ob auf spiegelungsfreie Durchsicht getestet wurde – das ist aussagefähig für freistehende Glasscheiben wie z. B. durchsichtige Lärmschutzwände – oder bei lichtschwachem Hintergrund unter Einbezug von Spiegelungen, was für den Anwendungsfall Fenster und Fassade relevant ist. ABC-Flugtunnelprüfungen werden in Durchsicht durchgeführt. Die biologische Station Hohenau führt Flugtunneluntersuchungen in der Durchsicht und in der Reflektion durch und unterscheidet die Wirksamkeiten der Produkte nach ihrem Einsatz.

GW – Welche Anforderungen werden an die so ermittelte Wirksamkeit der Vogelschutzgläser gestellt?

Grönegräs – Wie gesagt, es gibt keine Normierung. ABC und Hohenau verwenden jeweils eigene Bewertungsschemata. Während ABC es als „bird friendly / effective“ einstuft, wenn unter 30 Prozent der Vögel im Test das Vogelschutzglas anfliegen, unterscheidet Hohenau vier Kategorien; die höchste Kategorie A „hoch wirksam / vorbehaltlos empfohlen“ beginnt hier bei weniger als 10 % Anflüge im Test.

GW – Und was verlangen die Behörden?

Grönegräs – In den USA wird in der Regel „bird friendly / effective“ nach ABC verlangt – dort gibt es aber auch vielfach schon lange explizite gesetzliche Vorschriften. Das „Local Law 15“ in New York verlangt seit Anfang 2021 die Verwendung von „bird friendly materials“, und viele US Bundesstaaten haben das übernommen. Insgesamt mehr Vogelschutz durch mehr Fläche, für welche die Anforderungen gelten. Dafür sind diese Anforderungen aber weniger streng, lautet also gewissermaßen die Philosophie.
In Deutschland machen sich Naturschutzverbände wie der BUND dafür stark, dass nur die höchste Kategorie A nach Hohenau-Schema akzeptiert wird. Ich denke, es ist damit zu rechnen, dass das für die Einhaltung der Vorgaben nach dem hessischen Gesetz in der Regel verlangt werden wird.

Funktionierende Vogelschutzgläser gibt es seit Jahren. Viele Bauten wurden damit schon realisiert und mehr noch sind gerade in der Ausführung, in denen Vogelschutzglas eingesetzt wird, darunter viele Gebäude der öffentlichen Hand.

GW – Wer ist verantwortlich für die Berücksichtigung des Vogelschutzes im Planungsprozess?

Grönegräs – Es liegt in der Verantwortung des Bauherren, über ein Planungsbüro auch einen Fachplaner/Vogelschutz-Gutachter einzuschalten. In einem idealen Planungsablauf werden von diesem bereits konkrete Glasaufbauten für den Vogelschutz gefordert. Je weniger konkret diese Vorgaben des Fachplaners sind, desto unsicherer wird es, ob der geforderte Erfolg erzielt wird. Bundesweit gilt das Tötungsverbot nach § 44 Bundesnaturschutzgesetz. Er verbietet die Tötung besonders geschützter Arten, und zu denen gehören alle in Europa vorkommenden Vogelarten.

Vogelschutzglas – ein zu „heiß“ diskutiertes Thema…
… Wenn ich jetzt höre, dass jeweils pro Test „nur 80 Vögel“ fliegen, verstehe ich die teils sehr emotionalen Aussagen zur Wirksamkeit nicht, denn 80 Vögel reichen für eine aussagefähige Statistik kaum aus. Also am besten das Thema ganz sachlich angehen.

Matthias Rehberger

GW – Was heißt das im Detail?

Grönegräs – Nach allgemeiner Rechtsprechung wird gegen dieses Gebot verstoßen, wenn „ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko“ vorliegt. Zuständig für die fachliche Bewertung, ob das der Fall ist, sind die jeweiligen Naturschutzbehörden. Die orientieren sich in der Regel an einem eingeführten Bewertungsverfahren der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten, das in deren Beschluss 21/01 niedergeschrieben ist. Damit werden Gebäudeteile nach einem Punkteschema eingestuft. Das kann dann auch für verschiedene Flächen des selben Gebäudes zu verschiedenen Anforderungen führen.

GW – Muss denn jedes Vogelschutzglas einzeln getestet werden, wenn ja, warum?

Grönegräs – Normiert ist das wie gesagt nicht, aber in der Praxis werden die Tests von den Behörden als Nachweis verlangt, und das wird in Zukunft nach dem hessischen Gesetz sicher noch zunehmen. Als BF sehen wir das so, dass ein anerkannter Nachweis vorgelegt werden muss, um das Produkt als „Vogelschutzglas“ zu vermarkten.

Für die Hersteller in Deutschland und Europa ist es natürlich keine sehr glückliche Situation, dass Prüfungen hier nur von Hohenau angeboten werden. In den letzten Monaten sind ja etliche Hersteller mit neuen Produkten auf den Markt gekommen, und schon jetzt sind Termine für die Prüfung eines neuen Produkts dort nur mit teilweise mehrjährigen Vorlaufzeiten zu bekommen. Wobei die Biologische Station Hohenau-Ringelsdorf zu dieser Situation nichts kann, das will ich ausdrücklich sagen. Für die Kapazität so eines Prüftunnels gibt es ja natürliche Begrenzungen z. B. durch die Jahreszeit.

GW – Muss jedes Glas einzeln getestet ­werden?

Grönegräs – Richtig. Es reicht nicht aus, dass das Glas bestimmte Designmerkmale besitzt, von denen man aus früheren Tests weiß, dass sie im Sinne von Vogelschutz funktionieren. Diese Merkmale sind natürlich grundsätzlich bekannt: tendenziell sind eher kontrastreiche Markierungen wirksamer; eher auf Ebene 1 als Ebene 2, eher nicht zu feine Markierungen. Allgemein kommt es ja darauf an, dass die Vögel den Eindruck bekommen, die Hindernisse sind so dicht, dass sie nicht hindurchfliegen können. Daher die immer wieder zitierte „Handflächenregel“ für die „Maschenweite“ von Mustern, die natürlich keine exakte Größe darstellt. Die Wirksamkeit von Mustern korreliert übrigens nicht mit dem Bedeckungsgrad: Es gibt auch hoch wirksam getestete Muster mit einem äußerst niedrigen Bedeckungsgrad, und eine hohe Bedeckung kann unter Umständen sogar kontraproduktiv sein.

GW – Wie steht der BF dazu?

Grönegräs – Nach unserer Position als BF ist es nicht statthaft, aus dem Vorhandensein tendenziell günstiger Eigenschaften zu schließen, dass die jeweilige Verglasung als Vogelschutzglas funktioniert. Es ist stets eine Prüfung des konkreten Produkts vorzulegen.

Es ist daher für uns auch nicht statthaft, ganze Produktpaletten ähnlicher Gläser als Vogelschutzglas zu vermarkten, wenn nur einzelne Produkte tatsächlich geprüft wurden. Und es reicht eben nicht aus, nur irgendwelche Muster aufzubringen, mit welchem technischen Verfahren auch immer.

GW – Dann muss also jeder neue Glasaufbau getestet werden?

Grönegräs – Aus unserer Sicht wäre es wünschenswert, Regeln zu definieren, für welche abgewandelten Aufbauten einmal gemachte Prüfungen mitgelten sollen und für welche nicht. Wenn zum Beispiel ein Muster aus roten Punkten mit 5 mm Durchmesser in einem bestimmten Abstand funktioniert hat, dann werden 6 mm-Punkte im gleichen Abstand wahrscheinlich auch funktionieren, aber man darf nicht den Abstand vergrößern. Auch ein anderer Scheibenzwischenraum im Isolierglasaufbau wird wahrscheinlich keinen Einfluss haben, die Verlegung des Musters von Ebene 1 auf Ebene 2 aber schon, wegen geänderter Reflexion.

Wir wollen uns daher in unserem Arbeitskreis „Vogelschutzglas“ damit beschäftigen, mit Partnern zusammen solche Regeln zu erarbeiten.

GW – Was tut der BF noch für Vogelschutzglas?

Grönegräs – Aus einer anfangs gelegentlich tagenden Gruppe hat sich im BF ein regulärer Arbeitskreis gebildet, der kürzlich auch einen Sprecher gewählt hat; dort sind durch die Hersteller und Verarbeiter praktisch alle Produktlösungen vertreten, ob Kennzeichnung direkt auf Glas, auf PVB-Folie oder per Laser. Der Arbeitskreis ist sehr rührig und bereitet im Moment ein Merkblatt zur Veröffentlichung vor, in dem wir auf alle die Themen eingehen, die wir auch gerade angesprochen haben. Dann hält das Vorstandsmitglied Michael Elstner für den BF auf den diesjährigen Rosenheimer Fenstertagen einen Vortrag zum Thema Vogelschutzglas..

Das Interview führte Matthias Rehberger

Foto: Robin - stock.adobe.com

13.12.2023 – BF-Symposium „Vogelschutzglas“

Das BF-Symposium „Vogelschutzglas“ findet im Katholisch-Sozialen Institut Siegburg statt. Mit dabei sind Vertreter des BUND und der Biologischen Station Hohenau-Ringelsdorf, um passende Glaslösungen zu diskutieren

Tagungsgebühr: BF-Mitglieder: 345 Euro, Nichtmitglieder: 445 Euro

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