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Interview mit Dr. Johann Overath vom BV Glas

Wie lange laufen unsere Floatwannen noch, Herr Dr. Overath?

Glaswelt – Herr Dr. Overath, werden die Glashersteller in Deutschland und in der EU in 2023 noch in der Lage sein, Glas zu wettbewerbsfähigen Preisen zu erzeugen und wird die Energieversorgung für die Floatwerke gesichert sein?

Johann Dr. Overath – Das Thema Versorgungssicherheit ist jüngst etwas hinter das Thema der Energiepreiskrise zurückgetreten. Die Gasspeicher sind aktuell gefüllt, die Versorgung über den Winter hinaus gesichert und wir sind mit allen politischen Entscheidungsträgern sowie der Bundesnetzagentur in ständigem Austausch. Vor allem ist es uns gelungen, die Botschaft zu platzieren, dass ein Ausbleiben der Erdgaslieferungen an die Glaswerke zu einer Zerstörung der Anlagen führt, die in den meisten Fällen irreversibel ist. Insofern sind wir vorsichtig optimistisch, dass die Energieversorgung für die Glaswerke auch im nächsten Jahr gesichert ist.

Anders sieht es derzeit bei der Umsetzung der Strom- und Gaspreisbremse aus, die ja eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass die Glasindustrie weiterhin wettbewerbsfähig bleibt.

Glaswelt – Was ist dabei in Ihren Augen kritisch für die Glashersteller?

Dr. Overath – Wir sehen ein großes Problem darin, dass die Vorgaben des temporären Krisenbeihilferahmens der EU-Kommission bei der Umsetzung der Gas- und Strompreisbremse berücksichtigt werden müssen. Dies stellt die energieintensiven Industrien vor massive Hürden. Problematisch ist vor allem die Anforderung für die beiden höchsten Beihilfestufen, dass der EBITDA um mindestens 40 Prozent zurückgegangen sein muss.

Im Klartext bedeutet das: Das Unternehmen muss bereits in einer wirtschaftlichen Schieflage sein, bevor es die Beihilfe in Anspruch nehmen kann. Damit wird allenfalls eine Härtefallregelung für einige Unternehmen geschaffen, aber kein wirksames Instrument zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit.

Glaswelt –Am 14. September bekräftigte die Präsidentin der EU Kommission, Ursula von der Leyen, dass „Sektoren wie die Glasindustrie gezielt unterstützt werden müssen“, da sie in mehreren kritischen Wertschöpfungsketten eine wesentliche Rolle spielt. Was bedeutet das in der Praxis, gibt die EU hier Unterstützung?

Dr. Overath – Momentan sieht die Situation so aus, dass der temporäre Krisenbeihilferahmen der EU die nationale Umsetzung von Hilfemaßnahmen eher hindert als befördert. Ein deutliches Signal von der EU wäre es, wenn die Glasindustrie endlich auf die Liste der Branchen für eine Strompreiskompensation käme, wie wir es seit Jahren fordern. Außerdem muss die Prozesssteuerermäßigung für die mineralogische Industrie vollumfänglich in der EU-Energiesteuerrichtlinie erhalten bleiben.

Glaswelt – Und welche konkreten Entlastungen für die Unternehmen in der Wertschöpfungskette der Glasindustrie sind zu erwarten.

Dr. Overath – Die Maßnahmen der Strom- und Gaspreisbremse stehen selbstverständlich auch anderen Industriebranchen offen und können damit von den Unternehmen der Wertschöpfungskette Glas beantragt werden. Aber auch hier gilt, dass der temporäre Krisenbeihilferahmen der EU die Hilfen begrenzt

Glaswelt – Im Rahmen der rasant steigenden Energiepreise ist die Gefahr hoch, dass notwendige Investitionen der Glasunternehmen zurückgestellt oder ganz abgesagt werden. Sehen Sie hier Möglichkeiten der staatlichen Unterstützung, wenn ja, welche?

Dr. Overath – Ein dauerhaft prognostizierbarer, international wettbewerbsfähiger Industriestrompreis wäre eine sinnvolle staatliche Unterstützung, auch im Hinblick auf die Dekarbonisierung der Glasindustrie, bei der grüner Strom eine entscheidende Rolle spielen wird.

Ein solcher Industriestrompreis würde Investitionen in Technologien mit alternativen Energieträgern fördern und die aktuelle Energiepreiskrise abfedern. Ein weiteres Instrument sind die sogenannten Carbon Contracts for Difference, mit denen der Staat die Betriebskosten für eine klimaneutrale Produktion ausgleicht.

Glaswelt – Denken Sie, dass die Elektrifizierung der Glasindustrie – also weg vom Gas – ein möglicher Schritt ist, um die Glasindustrie krisenfester zu machen?

Dr. Overath – Wir haben in diesem Jahr eine CO2-Roadmap für die Glasindustrie vorgestellt und der Einsatz von vollelektrischen Wannen ist ein mögliches Zukunftsszenario, um das Erdgas abzulösen. Allerdings ist eine vollständige Elektrifizierung derzeit technisch noch nicht möglich. Die Glasindustrie forscht aktuell an Alternativen zum Erdgas unter dem Gesichtspunkt, bis 2045 klimaneutral zu werden. Die Technologien, die dabei in Betracht kommen, basieren auf Grünstrom und Wasserstoff, sind aber noch nicht kurzfristig verfügbar.

Glaswelt – Aufgrund der hohen Energiepreise in Europa steigen die Einfuhrmengen beim Glas aus anderen Ländern, sehen Sie hier eine Gefahr für die deutschen Glasanbieter/EU Unternehmen?

Dr. Overath – In Deutschland können wir keine steigenden Einfuhrmengen von Glas feststellen. Das Gegenteil ist der Fall. So sanken die Importe gemessen in Tonnen für Floatglas/Gussglas in den ersten drei Quartalen des Jahres 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum sogar um 32 Prozent. Im Behälterglas sanken die Importe um 13 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Ähnliches gilt für Fenster und Türen.

Das Interview führte Matthias Rehberger

Hohe Gaspreise sowie die Versorgungslage bei den Rohstoffen sind für Floatglas-Hersteller eine Herausforderung.

Foto: Pilkington

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