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Interview mit Martina Schneller vom BZB

Der Weg zum digitalen Handwerk ist kein Hexenwerk

Glaswelt – Frau Dr. Schneller, warum braucht man heute die Digitalisierung überhaupt, es ging doch bisher auch ohne?

Martina Schneller – Das würde ich so nicht ­sehen, ohne digitalen Werkzeuge ist es einfach schwerer. Das sehen wir doch in unserem (privaten) Alltag, hier bietet uns diese sehr viele Erleichterungen, angefangen schon beim Navigationsgerät mit all seinen Möglichkeiten. Warum sollten diese Erleichterungen nicht auch in der beruflichen Praxis genutzt werden.

Die Digitalisierung im Handwerk erlaubt es, den Betrieben die Auftragsbearbeitung, die Dokumentationen und andere administrative Arbeiten mit digitalen Werkzeugen deutlich effizienter umzusetzen. Dadurch bleibt dann mehr Zeit, für die „Handarbeit“. Nehmen Sie als Beispiel den Stundenzettel, ein Betrieb mit sieben Mitarbeitern kann beim Umstieg auf digitale Stundenzettel gut zwei Stunden pro Woche einsparen.

Glaswelt – Worauf sollten Handwerker achten, die ihren Betrieb umstellen wollen?

Schneller – Man sollte nicht versuchen, die Digitalisierung im Betrieb nach dem Prinzip „trial and error“ anzugehen, sondern der Handwerker muss sich zuerst über seine Strategie bei der Umsetzung Gedanken machen. Dies betrifft nicht nur die strategische technische Umstellung, sondern auch die Mitarbeiter. Ohne sie wird es nicht funktionieren. Die Umstellung muss immer als Teamwork betrachtet werden. Und dazu braucht es ein Veränderungsmanagement, auch als Change Management bekannt.

Glaswelt – Was versteht man darunter?

Schneller – Menschen und Mitarbeiter verändern ungern ihre Routinen. Bei (geplanten) Veränderungen durchlaufen wir eine Kurve: Erst sind wir optimistisch und zuversichtlich, dann kommt es zur Umsetzung und wir finden uns in einem emotionalen Tal, da alles nicht so klappt, wie wir es gewohnt sind. Durch diese muss man durch und offen sein, bis der ein Moment eintritt und das Neue verstanden und angewendet werden kann.

Nun folgt die Akzeptanz in Bezug auf die Veränderung und setzt das Neue effektiv und effizient um. Und mit Werkzeugen aus dem Bereich der Digitalisierung geht das genauso. Das gilt für den Chef, ebenso wie für die Mitarbeiter und Azubis.

Glaswelt – Und wie sehen die notwendigen Schritte bei der Umstellung aus?

Schneller – Zuerst muss sich der Betrieb zusammen mit seinen Mitarbeitern Gedanken über die Strategie bei der Umstellung machen. Dazu ist es nötig, alle anfallenden Aufgaben im Betrieb sowie die internen Arbeitsabläufe strukturiert darzustellen und zu visualisieren. Daraus lassen sich Anforderungen ableiten, wie diese der Betrieb umsetzen kann. Nun muss eine Priorisierung ­vorgenommen werden. Anschließend können digitale Werkzeuge entsprechend eingeführt werden.

Glaswelt – Welche Hilfestellung und Unterstützung gibt es für die Verarbeiter?

Schneller –  Wir vom Kompetenzzentrum Digitales Handwerk unterstützten Betriebe bei der digitalen Transformation, ebenso wie 25 weitere Zentren der Mittelstand 4.0 – Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse sowie die Digitalisierungsberater der Handwerkskammern u. v. m. Dazu bieten wir Qualifizierungen an, erarbeiten Leitbetriebe, es gibt den Digitalisierungs-Check, Sprechstunden für Handwerker und vieles mehr.

Glaswelt – Sie haben die Leitbetrieb angesprochen, was genau versteht man darunter?

Schneller – Die Idee zum Leitbetrieb resultiert aus vielen Gesprächen mit Betrieben, die sich immer wieder gewünscht haben, für die Umstellung Empfehlungen zu bekommen, um nicht selbst experimentieren zu müssen. Wir wurden immer wieder gefragt: Aber was soll ich denn jetzt genau umsetzen? Wie soll ich das Thema angehen? Was soll ich anschaffen? Diese Fragen lassen sich aber nicht pauschal beantworten, ohne den Betrieb zu betrachten – also eine Prozessanalyse vorzunehmen.

Wir suchen nach einer Lösung, die vielen Betrieben helfen kann. Und so ist die Idee entstanden, einen Leitbetrieb zu entwickeln, also einen standardisierten Betrieb. Hier arbeiten wir mit vier Betrieben aus den jeweiligen Gewerken zusammen und fertigen in diesen Betrieben Prozessanalysen an. Aus diesen wird ein Standardprozess abgeleitet. Dabei werden alle Handlungsfelder, von der Anfrage des Kunden bis zum Endprodukt und zur Auslieferung, betrachtet und überlegt, welche digitalen Werkzeuge bei diesem Prozess sinnvoll zum Einsatz kommen können. Dieses standardisierte Ideal nennen wir Leitbetrieb, der so als Leitbild fungieren kann.

Glaswelt – Also ist die Digitalisierung im Handwerk kein Hexenwerk?

Schneller – Die Digitalisierung ist vergleichbar mit der Industrialisierung. Sie ist nicht aufzuhalten. Dabei bietet sie jedoch viele Chancen für die Unternehmen. Aber man muss sich auf die Umstellung einlassen und sich dafür entsprechend Zeit nehmen. Dabei sollte sich der Handwerker immer vor Augen halten, dass sich durch den Einsatz von digitalen Hilfsmitteln viel Zeit einsparen lässt. Auf lange Sicht bringt das dem Betrieb einen Gewinn. Und auf kurze Sicht kann er diesen Zeitgewinn nutzen und in die Umsetzung der Digitalisierung investieren. ­—

Das Interview führte Matthias Rehberger.

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