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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE UND STILEPOCHEN, TEIL 7

Konkurrenz aus einem Guss

Als in den letzten Kriegsmonaten immer häufiger der Fliegeralarm ertönte und die Menschen in Luftschutzbunkern und Kellern ausharrten, um dem Bombenhagel zu entgehen, gehörte das Bersten der dünnen Fensterscheiben mit zu den ersten Vorboten der drohenden Zerstörung. Wer sich zu spät auf den Weg in die schützenden Gewölbe gemacht hatte, lief Gefahr, von umherfliegenden Splittern getroffen zu werden und bezahlte sein Versäumnis mit schweren Schnittverletzungen oder gar mit dem Leben. Viele Häuser, die dem Bombardement zunächst entgingen, blieben am Ende trotzdem nicht verschont, weil sich das Feuer und die Hitze benachbarter Brände über die schutzlosen Fensteröffnungen in die Wohnungen fraß. Da nützte es wenig, die Fenster außenseitig mit Brettern zuzunageln oder auf die Scheiben ein großes „X“ aus Klebeband zu kleben, um sie vor dem Zersplittern zu bewahren. Wirkungsvoller war es da schon, die historischen und besonders wertvollen Bleiverglasungen an Kirchen und Repräsentationsbauten vorsorglich auszubauen und die Öffnungen auszumauern oder anderweitig zu verschließen.

Wer das Grauen überlebt hatte, stand meist vor dem Nichts. Ein Viertel aller Wohnungen in Deutschland waren zerstört worden, vor allem in den Städten fehlte es akut an warmen und witterungsgeschützten Unterkünften.

Stahlfenster – stabil und filigran

Obwohl die Zerstörungen in vielen Städten gewaltig waren und die von den Siegermächten betriebene Demontage die Wiederaufnahme der Industrieproduktion und des Gewerbes erschwerte, erwuchs aus den Trümmerbergen alsbald neuer Wohnraum. In den ersten Jahren nach dem Kriegsende setzte man erneut vorwiegend Holzfenster in die Wandöffnungen der notdürftig reparierten oder komplett neu aufgebauten Häuser und Wohnungen ein.

Wie schon vor dem Krieg zählten noch immer einfach verglaste Fenster zum Standard, die als Verbund-, Doppel- oder Kastenfenster einen etwas besseren Wärmeschutz ermöglichten. Als Alternative zu den Holzfenstern hatten sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts vorwiegend in Industrie-, Gewerbe- und unbeheizten Nutzbauten wie Scheunen und Ställen filigrane Stahlfenster durchzusetzen begonnen, deren material­technischen Vorzüge auch in der Nachkriegszeit zu überzeugen wussten. Die Vorläufer der Stahlfenster aus gewalzten T- oder L-Profilen waren zunächst Fenster aus Guss- und Schmiedeeisen, die bereits zur Blütezeit der Industriellen Revolution in Gewächshäusern, Fabriken, Bahnhöfe oder Ausstellungshallen architektonisch neue Akzente setzten. Die Metallfenster ließen aufgrund der zierlichen Profilgeometrie nicht nur mehr Licht ins Gebäudeinnere, sondern zeigten sich weitaus robuster und widerstandsfähiger gegenüber Witterungseinflüssen. Hält man sich die Bedingungen in den Produktionsbetrieben des frühen Industriezeitalters vor Augen, kann man sich leicht ausmalen, dass auch das Brandrisiko und die Belastung mit chemischen Stoffen überzeugende Argumente für den Einbau von Stahlfenstern lieferten.

Auf die gusseisernen Fenster mit neogotischem Maßwerk folgten ab 1870 standardisierte Eisenfenster aus Walzprofilen mit Öffnungsflügeln, die vor allem von den Architekten der Bauhaus-Ära begeistert aufgenommen wurden, um diese industriell hergestellten Produkte auch für Wohnhäuser im Stil der Klassischen Moderne zu verwenden.

Aluminium: präzises Profil aus einem Strang

Sowohl während der Mobilmachung unter den Nazis als auch in den Kriegsjahren waren Stahl und Eisen allein der Rüstungsindustrie zugedacht, die kurz vor der Kapitulation natürlich besonders ins Visier der alliierten Bomber geraten war. Insofern blieben die Anteile der Stahlfenster auch nach dem Krieg gegenüber dem Holzfenster bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland marginal, was sich in den 1950er Jahren jedoch schlagartig ändern sollte, als dazu der Fensterwerkstoff Aluminium in den Markt drängte. Obwohl für die Herstellung von einer Tonne Aluminium vier Tonnen Bauxit, 1,3 Tonnen Braunkohle und ein Strombedarf von rund 20000 kWh vonnöten sind, um daraus schlussendlich im Strangpressverfahren Fensterprofile zu formen, erfreuen sich Aluminiumfenster und -türen bis heute vorwiegend in Nichtwohnungsbauten großer Beliebtheit.

Für das Material sprachen schon damals die hohe Beständigkeit gegenüber atmosphärischen Einflüssen und die hohe Stabilität bei kleinen Profilquerschnitten. Vorwiegend in Verwaltungsgebäuden, Schulen sowie im Industrie- und Gewerbebau baute man Dreh- und Schwingflügelfenster aus verschiedensten Profilquerschnitten und -formen ein, die bis in die 1960er Jahre als hervorragende Wärmebrücken fungierten, weil sie bis dahin thermisch nicht getrennt waren. Hinsichtlich der Wärmeleitfähigkeit schneidet Aluminium mit 200 W/mK gegenüber Holz (0,13 bis 0,20 W/mK) und Stahl (60 W/mK) unglaublich schlecht ab. Trotzdem schafften es die Hersteller, durch Innovationen bei den Dichtungsebenen (doppelte und dreifache Gummilippen), thermische Trennstege und durch das Ausschäumen der Hohlkammerprofile mit Kunststoff die Wärme- und Schallisolierung der Alu-Fenster deutlich zu verbessern. Holzfenster hatten hier bald das Nachsehen. Hersteller von Alu-Verbundfensterkonstruktionen gingen dazu über, die Wärmeleitung zwischen den Flügeln mit Kunststoffeinlagen zu unterbrechen und speziell ausgeformte Wandanschlussprofile zu kreieren, um Zugluft an dieser Anschlussfuge verlässlich zu unterbinden und Schlagregendichtheit zu garantieren [1]. Zu den weiteren Optimierungen gehörte unter anderem die Idee, die Alu-Profile innenseitig mit Holzleisten abzudecken, damit sich kein Schwitzwasser bilden kann und eine handwarme Oberfläche entsteht („System Fiesler“).

Historische Metallfenster: unterschätztes Kulturgut

Obwohl bereits 1932 von R. Sigwart im Laborversuch bewiesen wurde, dass Stahlfenster aufgrund ihrer präzisen Profilgeometrie hinsichtlich der Luftdurchlässigkeit gegenüber Holzfenstern sogar im Vorteil sind [2], hält sich bis heute hartnäckig das Vorurteil, historische Stahl- und Eisenfenster seien per se undicht. Was auf die frühen Gussfenster sicher zutreffen mag, gilt jedoch keineswegs für industriell hergestellte Metallfenster aus Walzeisen, Stabeisen oder stranggepressten Aluminiumprofilen. Zumal diese Fenster entweder bereits mit einer Lippendichtung versehen sind oder aber leicht mit einer solchen nachgerüstet werden können. Gravierender ist die gute Wärmeleitfähigkeit der Metalle, die eine thermische Trennung (und Dämmung) der Profile unabdingbar macht, um heutigen Wärmeschutzanforderungen zu genügen. Historische Stahlfenster erfüllen diese technische Bedingung jedoch in der Regel nicht, weshalb ihr Erhalt bei einer Modernisierung häufig infrage steht – sehr zum Leidwesen der Denkmalschützer, die durchaus Chancen sehen, beispielsweise durch innere Vorsatzfenster mit Sonderbeschlägen solches Kulturgut zu retten. —

[1] Klos, Hermann, Metallfenster, Sonderdruck (mit Ergänzungen) aus: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 41. Jahrgang, Holzmanufaktur Rottweil GmbH (Hrsg.), 2012

[2] R. Sigwart: Luftdurchlässigkeit von Holz- und Stahlfenstern, München, 1932

Der Autor

Klaus Siegele war nach einer Schreinerlehre und dem Architekturstudium zehnJahre Redakteur bei der db ­deutsche bauzeitung und führt seit 2000 ein eigenes Architekturbüro. Er ist Fach- und Buchautor für Architektur, Bautechnik, Nachhaltigkeit und energieeffizientes Bauen und für viele Fachzeitschriften, u.a. den Gebäude-Energieberater GEB, ­tätig. https://bau-satz.de/